Parallel zur Versorgung der Dürener Blindenanstalt mit einem Radioanschluss machte man sich in der Rheinprovinz Gedanken darüber, wie der Rundfunk die über das Land verteilt lebenden Blinden erreichen könnte [3]. Ein wichtiger Faktor hierbei war die anstehende Fertigstellung des Senders Langenberg, der im Januar 1927 den Betrieb aufnahm und eine bessere Rundfunkversorgung des Rheinlands versprach. Im Frühjahr 1926 veranstaltete zunächst die Oberpostdirektion Düsseldorf eine Spendensammlung für die Versorgung Blinder mit Radiogeräten; im Regierungsbezirk Köln erfolgte eine ähnliche Sammlung im folgenden Jahr, wenig später auch im Bezirk Koblenz. Während man darum bemüht war, möglichst allen Veteranen, die im Ersten Weltkrieg ihr Augenlicht verloren hatten, sofort einen Apparat zur Verfügung zu stellen, mussten "Zivilblinde", deren Zahl ungleich größer war (eine Schätzung vom Sommer 1926 ging von etwa 90 bis 100 "Kriegsblinden", aber 1100 bis 1200 "Zivilblinden" im Regierungsbezirk Düsseldorf aus), sich auf längere Wartezeiten einstellen. Die Beschaffungskosten konnten dadurch gesenkt werden, dass man den im Umkreis von 35 km um den Langenberger Sender lebenden Blinden günstigere Detektoren-Radios für etwa 20 Reichsmark zur Verfügung stellte, während bei weiterer Entfernung nur ein teurerer Röhrenapparat Empfang versprach, der 40 bis 80 Mark kostete. Für den großen Einsatz der Beteiligten wie auch die Spendenfreudigkeit der Bevölkerung spricht, dass der Anteil der mit Radios versorgten Blinden in kürzester Zeit stieg: Während man im Juli 1926 noch davon ausging, dass man nur 10% der "Zivilblinden" ein Gerät zur Verfügung stellen können würde, war diese Quote bis März 1927 auf zwei Drittel gestiegen. Bis Februar 1928 konnten aber bereits sämtliche Blinden in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf, die sich ein Radiogerät wünschten, entsprechend versorgt werden. Allerdings scheint der Zuspruch, auf den der Rundfunk insbesondere unter den blinden Rheinländerinnen und Rheinländern innerhalb kürzester Zeit traf, auch enorm gewesen zu sein – ganz im Gegensatz zur Meinung Bertolt Brechts, der behauptete, die Öffentlichkeit habe nicht auf den Rundfunk gewartet, sondern der Rundfunk auf die Öffentlichkeit. Im Februar 1927 meldete der Blindenfürsorgeverein, der federführend die Verteilung der Geräte organisierte, an den Landeshauptmann: „Die Ungeduld der Blinden betreffend Radio wird immer schlimmer.“ Wenig später schrieb die in Mönchengladbach tätige Bezirksblindenfürsorgerin Johanna Hoelters an den zuständigen Landesrat: „…aber überglücklich werde ich sein, wenn die 65 uns zugesagten Apparate endlich in meinen Besitz gelangen; denn ich kann mich des Ansturms in meiner Wohnung kaum mehr erwehren. Jeder Schicksalsgefährte will bei mir Radio hören. Es ist eine nicht zu beschreibende Begeisterung, und ich komme kaum mehr zu einem ruhigen Arbeiten; daher bin ich überfroh, wenn ich jedem Blinden seinen eigenen Apparat geben kann.“ In einem Dankesschreiben brachte der Blindenfürsorgeverein den Nutzen des Rundfunks knapp auf den Punkt: „Vielen Blinden wird damit in ihrer Einsamkeit ein Kunstgenuß, mannigfache Belehrung und Erbauung in schönster Form geboten.“ Eine weitere Facette brachte der Verein der blinden Akademiker Deutschlands ins Spiel, der sich im Juni 1927 in einem Schreiben an die Oberpostdirektion Düsseldorf für eine besondere Berücksichtigung seiner Klientel bei der Verteilung der Geräte aussprach: „Es ist wohl verständlich, dass gerade der geistig arbeitende Blinde das grösste Interesse an dem Besitze eines Radioapparates hat. Der blinde Akademiker ist, wenn er berufstätig ist, stärker durch Werbungskosten belastet als der blinde Industriearbeiter, Handwerker, Klavierstimmer usw.“. Insofern entsprachen die Bedürfnisse, die die blinden Hörerinnen und Hörer dem Rundfunk entgegenbrachten, wohl in besonderer Maße der Programmgestaltung, denn Unterhaltung, geistige Erbauung und Bildung standen in den Anfangsjahren des deutschen Radios eindeutig im Mittelpunkt [5] Den Funktionswandel, den der Hörfunk in Deutschland wenige Jahre später erleben sollte, illustriert eine Begebenheit aus der Arbeitsanstalt Brauweiler [6]: Am 16. Februar 1933, also nur gut zwei Wochen nach der sogenannten Machtergreifung, meldete der nationalsozialistische „Westdeutsche Beobachter“ polemisierend, „daß in der Anstalt in Brauweiler – wo man sonst dem Rundfunk nicht abhold ist – die Rede des deutschen Reichskanzlers Adolf Hitler nicht nur den Insassen, sondern auch den Beamten unterschlagen“ worden sei. Direktor Scheidgen sah sich sofort in der Defensive und teilte nach Düsseldorf mit: „Um Streitigkeiten und Unfrieden in der Anstaltsbevölkerung zu vermeiden, wird grundsätzlich jede Partei-Politik ausgeschaltet. Dementsprechend ist auch die Uebertragung der Reden der Parteiführer, die vor der letzten Reichstagswahl durch den Rundfunk verbreitet wurden, in der Anstalt nicht übertragen worden. Wohl sind in der letzten Zeit die Reden des Reichspräsidenten und Reichskanzlers zugelassen worden, soweit sie vor Einschluß stattfanden. Entsprechend sollte auch die Rede des Reichskanzlers Hitler behandelt werden.“ Lediglich in einem Gebäude habe der aufsichtführende Hauptwachmeister die Rede irrtümlich abgeschaltet, was der Direktor ausdrücklich missbilligt habe. Die Angelegenheit sei unverzüglich klargestellt und für die Zukunft „das Erforderliche veranlaßt worden“. Die Entwicklung des Radios zu einem zentralen Medium nationalsozialistischer Propaganda und politischer Agitation deutet sich hier bereits an. Bearbeitung: Dr. Manuel Hagemann
|