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Die Fassade eines Gebäudes ist abgebildet.

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im Rheinland

2. August 1896: Ein Denkmal in Gefahr

Die Kölner Volkszeitung kämpft für den Erhalt des Brauweiler Maulbeerbaums

Unter dem unverfänglichen Titel "Der Maulbeerbaum in Brauweiler" erschien in der Sonntagsausgabe der Kölnischen Volkszeitung vom 2. August 1896 ein Artikel von epischer Breite über "den Maulbeerbaum", der heute über die Grenzen von Brauweiler hinaus bekannt und als Naturdenkmal geschätzt ist. Der Legende nach steht der Baum in enger Verbindung mit der Gründung des Klosters Brauweiler durch die Kaisertochter Mathilde im Jahr 1024, die, unter diesem Baum ruhend, im Traum die Eingebung hatte, hier ein Kloster zu errichten. Die älteste erhaltene Erwähnung eines Maulbeerbaumes stammt allerdings erst aus dem dritten Viertel des 17. Jahrhunderts.[1]
1896 erfreute sich der jahrhundertealte Maulbeerbaum auf dem Gelände der damaligen Arbeitsanstalt zunächst keiner großen Wertschätzung. Um dies zu ändern, gab sich der anonyme Zeitungsredakteur des Artikels vom 2. August auffallende Mühe, seiner Leserschaft den Baum im "Schlosspark der Abtei Brauweiler" näher zu bringen. Um den Wert des Maulbeerbaumes ins rechte Licht zu rücken, adelte er ihn durch einen Vergleich mit dem neunhundertjährigen Rosenstock am Dom zu Hildesheim. In Brauweiler gab es zwar noch die alten Abteigebäude, aber seit Beginn des 19. Jahrhunderts dienten sie als Arbeitsanstalt unter der Leitung des Provinzialverbandes der preußischen Rheinprovinz. Der alte Baum fristete ein verborgenes Dasein hinter den Mauern der hermetisch abgeschlossenen Anlage, unzugänglich für die Interessierten und, wenn überhaupt, nur noch Spezialisten ein Begriff.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels, in dem der Redakteur dem Maulbeerbaum in der Arbeitsanstalt Brauweiler so viel Eloquenz widmete, war der Baum in Gefahr. Ein Sturm im Frühjahr des Jahres 1896 hatte ihn schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der Kölnischen Volkszeitung war daraufhin zu Ohren gekommen, dass „die Existenzberechtigung des Baumes … ernsthaft in Frage gestellt wird." Um der Denkwürdigkeit dieses besonderen Baumes und seiner Geschichte willen liesse sich vielleicht, so der Vorschlag des besorgten Schreibers, "mit etwas Sorgfalt und Mühe … erreichen, dass bald ein neuer Sprößling hervorkäme, … der in seiner Erscheinung die Traditionen jener Stelle im Schlossgarten zu Brauweiler lebendig erhalten würde. Der poetische Hauch, der jene alten Stätten mit den schönsten Traditionen so seltsam durchwehte, ist leider allzusehr von der kalten und nackten Prosa einer sehr ernsten Gegenwart verdrängt worden, - ein Grund mehr", so endet der Artikel, "Schonung und pietätvolle Behandlung dem Baume zu Theil werden zu lassen und noch zu retten, was eben zu retten ist".[2]


Das Archivale "betreffend den historischen Maulbeerbaum" im Archiv des LVR beginnt mit einem Brief des Direktors der Provinzial-Arbeitsanstalt Brauweiler Friedrich Schellmann an seinen Vorgesetzten, den Landesdirektor der Rheinprovinz Friedrich Wilhelm Klein. Am 4. Mai 1896 berichtete er von dem Sturm in der vorausgegangenen Woche, bei dem "der alte Maulbeerbaum zwischen der Bürsten- und der Gasfabrik", der ohnehin in zwei Teile gespalten war, zur Hälfte abgebrochen sei und „zu Boden“ liege, und mit dem Restbaum nur noch durch eine Faser verbunden sei. "Es dürfte daher jetzt an der Zeit sein, in Erwägung zu ziehen, ob nicht der fragliche Baum, wenn er auch ein historisches Andenken für die Anstalt darstellt, am zweckmäßigsten zu beseitigen ist…" Schellmann bat um eine Entscheidung, wie zu verfahren sei.[3] - Die Antwort kam, für bürokratische Verhältnisse, prompt. Nur vier Tage später, am 8. Mai, verfügte der Landesdirektor mit weiteren Schritten abzuwarten bis zu einer geplanten Revision der Anstalt im Juli. Bis dahin möge die Anstaltsdirektion jedoch die nötigen Vorkehrungen "zur möglichsten (sic!) Erhaltung" des Baumes treffen und hierzu einen Sachverständigen hinzuziehen.[4]
Die Sache zog sich hin. Zwar bemühte sich der Direktor der Arbeitsanstalt und nahm Kontakte auf, so zum Gartendirektor der Stadt Köln, Adolf Kowallek. Dieser hatte sich unter anderem durch die Gestaltung des Volks- und des Stadtgartens, des Stadtwalds und der Promenaden auf den Kölner Ringen einen Namen gemacht. Allerdings fand er nicht sofort die Zeit, nach Brauweiler zu kommen. Daher richtete Anstaltsleiter Schellmann am 25. August ein erneutes Schreiben an den Landesdirektor: Was denn der Provinzialausschuss als zentrales politisches Organ des Provinzialverbandes bei der Revision der Anstalt am 11. Juli und nach der Besichtigung des Maulbeerbaumes beschlossen habe? Aus dem nächsten Satz lässt sich die Besorgnis angesichts der ungeklärten Situation ablesen: "Wie aus der Anlage ersichtlich, hat bereits die Presse … das Wort ergriffen…" Die Anlage ist dem Schreiben angefügt: Es handelt sich um den eingangs zitierten Artikel aus der Kölnischen Volkszeitung vom 2. August, der sich, nunmehr öffentlich, für die Erhaltung des Maulbeerbaumes einsetzte. Und noch eine beunruhigende Nachricht wurde dem Landesdirektor übermittelt: Der Historische Verein zu Köln hatte angekündigt, Anfang Oktober (1896) „den fraglichen Baum“ besichtigen und seine Ansicht anschließend dem Direktor der Arbeitsanstalt mitteilen zu wollen. Der Vereinsvorsitzende, der bekannte Domkapitular und Kunstsammler Prof. Dr. Alexander Schnütgen, hatte ihn, den Direktor der Anstalt, gebeten, dem Verein die Besichtigung zu gestatten.[5] Man hört förmlich das Seufzen: Er bittet den Landesdirektor um die entsprechende Genehmigung.


Die Angelegenheit war nun in der Welt und begann, Kreise zu ziehen. Der Direktor der Arbeitsanstalt sah hingegen offenbar die Chancen schwinden, den nicht besonders geschätzten Baum endlich loszuwerden.
Am 9. September erging schließlich die gewünschte Genehmigung des Landesdirektors. Der Historische Verein durfte den Baum in Augenschein nehmen, seine Ansichten nach der Besichtigung sind uns allerdings nicht überliefert. Im Übrigen erklärte sich der Landesdirektor einverstanden, den am Boden liegenden Baumteil durch einen "Mauerungspfeiler" abzustützen, und bat um Prüfung, ob man nicht einen Ableger ziehen könne. Gartendirektor Kowallek übermittelte eine Anleitung und gab Ende September die Empfehlung, den Baum zur möglichst langen Erhaltung des aktuellen Zustandes mit einer Naturmauer abzustützen und durch Drahtseile in drei Richtungen festzuhalten.
Der Anstaltsdirektor reagierte ablehnend: zu teuer, unmöglich. Gleichzeitig versicherte er jedoch, "dem Baum … die weitgehendste Obhut zu Theil werden (zu) lassen, damit derselbe wegen seines historischen Werthes noch möglichst lange erhalten bleibt." Damit war er sich, zumindest in Worten, mit seinem Dienstherrn einig, der ihm dieses in einem Antwortschreiben am 8. Oktober auch noch einmal nahe legte. In den folgenden Tagen wurden die erforderlichen Arbeiten durchgeführt.[6]
Im weiteren Verlauf der Akte finden sich einige Belege, dass das Interesse am historischen Maulbeerbaum weit über Brauweiler hinaus wuchs. Beispielsweise kamen diverse Anfragen zur Geschichte des Baumes und seiner Beziehung zur Gründungsgeschichte der Abtei, es wurden sogar Blätterproben erbeten für eine wissenschaftliche Abschlussarbeit im Fach Botanik. Die Direktion der Arbeitsanstalt Brauweiler war immer wieder mit dem Baum beschäftigt, der nun doch mehr als ein „historisches Andenken für die Anstalt“ darstellte.
Den erstaunlichen Abschluss bildet die Abschrift eines vom Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten in Berlin am 15. Juni 1921 ausgestellten Rundschreibens. An "sämtliche Herren Regierungspräsidenten mit Ausnahme desjenigen in Potsdam" erging unter dem Betreff "Erhaltung alter Maulbeerbäume" eine Erinnerung an eine Verfügung vom 22. Januar 1917, wonach auf die Erhaltung alter Maulbeerbäume hingewirkt werden sollte.[7] Die Order aus Berlin erwähnt ausdrücklich einen nicht näher bezeichneten Einzelfall, woraufhin man sich im Ministerium in Berlin aufgefordert fühlte, im ganzen Reich und nach Kriegsende noch einmal in der ganzen Republik auf die Erhaltung alter Maulbeerbäume hinzuweisen. Immerhin erreichte diese Verfügung sogar den Gartenmeister der Arbeitsanstalt Brauweiler.


Da mit diesem Rundschreiben die Brauweiler Akte "betreffend den historischen Maulbeerbaum", endet, liegt die Annahme nahe, dass es sich bei dem nicht näher erwähnten Einzelfall um die Beinahe-Beseitigung des "1000-jährigen Maulbeerbaumes" in Brauweiler gehandelt haben könnte. Wurde der Fall bis nach Berlin bekannt? Sollten 20 Jahre vergehen, bis Berlin reagierte?
Bis der Maulbeerbaum als Naturdenkmal unter Schutz gestellt wurde, sollten noch einige Jahre vergehen. Erst 1935 wurde er in die entsprechende Liste aufgenommen.[8] Wir jedenfalls freuen uns, ob mit Anweisung aus Berlin oder ohne, dass uns der historische Maulbeerbaum in Brauweiler bis zum heutigen Tage erhalten blieb, uns Sommer für Sommer mit seinen Früchten beschenkt und gar nicht daran denkt, sein Leben auszuhauchen.[9]

Das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum nahm die wechselvolle Geschichte des Brauweiler Exemplars zum Anlass, den ausgewiesenen Experten Prof. Dr. Michael Seiler, Gartendirektor a. D. der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, um einen Vortrag zu bitten. Am 26. August 2015 wird er daher im Rahmen der Reihe "Mittwochs im Archiv" in seinem Vortrag "Mythologie, Tafelobst und Seidenzucht" in die Kulturgeschichte der Maulbeerbäume, wie sie nach Europa kamen und wie sie genutzt wurden, einführen.

Termin: Mittwoch, 26. August 2015, 18 Uhr
Ort: Gierden-Saal des LVR-Kulturzentrums Abtei Brauweiler
Ehrenfriedstr. 19
50259 Pulheim-Brauweiler

Der Eintritt ist kostenfrei.


Anmerkungen

[1] Zur Legende und Geschichte des Brauweiler Maulbeerbaums siehe: Bader, Walter: Die Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln. Untersuchungen zu ihrer Baugeschichte nach dem hinterlassenen Manuskript von Erika Huyssen. Berlin 1937, S. 53 ff.; Hromesch, Manuela; Kopecky, Claudia: Der Maulbeerbaum im Brauweiler Abteipark, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde. Bd. 18 (1994), S. 205 ff. Zur Geschichte der ehemaligen Benediktinerabtei: Wisplinghoff, Erich: Die Benediktinerabtei Brauweiler (Germania Sacra, N. F. 29: Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Erzbistum Köln 5). Berlin, New York 1992; Schreiner; Peter: Die Geschichte der Abtei Brauweiler bei Köln 1024–1802 (Sonderveröffentlichungen des Pulheimer Vereins für Geschichte und Heimatkunde 21). 2. Auflage. Pulheim 2009.
[2] Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (im Weiteren ALVR), Bestand Allgemeines Armenwesen, Nr. 8161. Ein Album mit einigen zeitgenössische Fotografien zeigt die Situation des Maulbeerbaums, in dessen direkter Nachbarschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Arresthaus der Arbeitsanstalt erbaut worden war. Vgl.: ALVR, Bild 4: Arbeitsanstalt Brauweiler, Nr. 47.
[3] ALVR, Nr. 8161.
[4] ALVR, Bestand Arbeitsanstalt und Rheinisches Landeskrankenhaus Brauweiler (1833–1978), Nr. 15091.
[5] Zu Domkapitular Schnütgen siehe das Biogramm in der Neuen Deutschen Biographie, online abrufbar unter: Neue Deutsche Biographie (zuletzt abgerufen: 10.08.2015). Siehe ebenso: Spiller, Armin: Alexander Schnütgen (1843–1918), in: Rheinische Lebensbilder, hrsg. im Auftrag der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. Bd. 5. Bonn 1973, S. 191 ff.
[6] Auf demselben Dokument findet sich die Randbemerkung vom Direktor der Arbeitsanstalt vom 12.10., dass der Meister Müller aus der Arbeitsanstalt nach der Rückkehr aus seinem Urlaub den Baum "vollständig sichern" soll. Vom 14.10. datiert eine zweite Randbemerkung, dass der Maulbeerbaum am 13.10. "gut unterstützt worden ist". Vgl.: ALVR, Nr. 15091.
[7] ALVR, Nr. 15091.
[8] Maulbeerbaum im Abteipark Brauweiler (Naturdenkmal), in: KuLaDig, Kultur.Landschaft.Digital., online abrufbar unter: Brauweiler Maulbeerbaum (zuletzt abgerufen: 10.08.2015).
[9] Der Baum inspirierte Maria Mösch sogar zu einem historischen Roman: Mösch, Marie Th.: So wie der Maulbeerbaum. Köln 2003.


Weiterführende Quellen und Literatur

  • Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Bestand Arbeitsanstalt und Rheinisches Landeskrankenhaus Brauweiler (1833–1978)
  • Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Bestand Allgemeines Armenwesen, Aufsichtsabteilung über die Arbeitsanstalt Brauweiler und das Landesarmenhaus Trier (1808–1971)
  • Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Bestand Bild 4: Arbeitsanstalt Brauweiler
  • Bader, Walter: Die Benediktinerabtei Brauweiler bei Köln. Untersuchungen zu ihrer Baugeschichte nach dem hinterlassenen Manuskript von Erika Huyssen. Berlin 1937
  • Hromesch, Manuela; Kopecky, Claudia: Der Maulbeerbaum im Brauweiler Abteipark, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde. Bd. 18 (1994), S. 205–214
  • Schreiner, Peter: Die Gärten der Abtei Brauweiler bei Köln, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte. Bd. 27 (2006), S. 19–35
  • Schreiner; Peter: Die Geschichte der Abtei Brauweiler bei Köln 1024–1802 (Sonderveröffentlichungen des Pulheimer Vereins für Geschichte und Heimatkunde 21). 2. Auflage. Pulheim 2009

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