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Die Fassade eines Gebäudes ist abgebildet.

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18. Februar 1997: „Bergrecht geht vor Denkmalpflege.“ Wie die Burg Reuschenberg dem Bagger zum Opfer fiel

Am 03.09.1997 berichtete die Kölnische Rundschau zum ersten Mal von einem aufsehenerregenden Vorhaben: Die Burg Reuschenberg [Abb. 1] im kleinen Elsdorf sollte in Einzelteilen abgebaut und anschließend ins nahegelegene Freilichtmuseum Kommern transportiert und dort originalgetreu wiederaufgebaut werden. [1] Grund für die Planung dieser Aktion war der immer näher rückende Hambacher Tagebau. Die mittelalterliche Wasserburg müsste diesem nämlich spätestens Ende 1998 weichen. Eine sogenannte Translozierung der Bauanlage wäre die letzte Möglichkeit, das Denkmal vor diesem Schicksal zu bewahren. Die Idee dafür ging auf Initiative des Arbeitsamtes in Brühl und des Kolping Bildungswerkes in Aachen zurück, die sich damit an den Landschaftsverband Rheinland wandten.

Die Burg Reuschenberg wurde das erste Mal 1278 als Sitz des niederen Adelsgeschlechts der Reuschenbergs urkundlich erwähnt und dokumentiert. 1896-1897 kam es zu einer umfangreichen Renovierung im neugotischen Stil. 1924 wurden die übrigen Gebäude zudem verändert oder komplett erneuert. Wegen der zahlreichen Umbauten galt die Burg insbesondere bauhistorisch als erhaltenswert, weil sie so Denkmal für verschiedene Stile und Epochen war. [2] 1997 bestanden die Überbleibsel der Anlage hauptsächlich aus einem höchstwahrscheinlich aus dem 15. Jh. stammenden Wohnturm und einem zum Herrenhaus umfunktionierten Nebengebäude.


Die Translozierung einer Burganlage wäre ein bis dato einmaliges Unterfangen gewesen. Als Translozierung bezeichnet man ein besonderes Verfahren der Gebäudeversetzung. Üblicherweise werden Gebäude versetzt, indem sie als Ganzes vom Grund gelöst und anschließend auf Schienen oder Rollen an ihren neuen Standort transportiert werden. Dabei handelt es sich allerdings meistens um Strecken von wenigen hundert Metern. Eine Burg aus Elsdorf lässt sich aber nicht so einfach in das fast 50 Kilometer entfernte Kommern verschieben. Eine Translozierung sieht deswegen vor, dass ein Gebäude systematisch in Einzelteile zerlegt, abgebaut und dokumentiert wird, ehe es an seinem neuen Standort möglichst originalgetreu rekonstruiert wird. Ein aktuelles Beispiel einer solchen Translozierung ist etwa die Stabkirche Stiege in Sachsen-Anhalt, die beginnend im März 2021 an ihrem ursprünglichen Standort abgebaut wurde und am 20. Mai 2022 am neuen Standort in der Nähe des Stieger Bahnhof eingeweiht wurde. Eine Translozierung ist aber aus Perspektive der Denkmalpflege auch nicht ganz unbedenklich. So verliert das Gebäude in diesem Prozess nämlich den bauhistorischen Kontext und seine gewachsene Umgebung [3]. Die Translozierung kann deswegen nur die letzte Lösung sein, um ein Denkmal vor der ansonsten vollständigen Zerstörung zu bewahren.

Auf die Anfrage des Kolping Bildungswerkes reagierte der Kulturausschuss des LVR zunächst mit einstimmiger Begeisterung. Mit Adjektiven wie „reizvoll“, „faszinierend“ und „spektakulär“ wurde das Projekt von Ausschussmitgliedern versehen. [4]

Auch vom Freilichtmuseum Kommern wurde der Vorschlag einer Translozierung der Burg Reuschenberg wohlwollend aufgenommen. Da eine bevorstehende Parkplatzverschiebung auch die Konzeption eines neuen Eingangsbereichs nötig machte, kam die Idee auf, den Wohnturm und das Herrenhaus [Abb. 2] der Burg als Eingangsgebäude nutzbar zu machen und damit auf einen Neubau verzichten zu können. Die Rheinbraun AG, die zu diesem Zeitpunkt bereits Eigentümerin des Grundstücks war und auch schon eine Abrissgenehmigung eingeholt hatte, sah dem Projekt etwas nüchterner entgegen. Zwar hatte sie grundsätzlich nichts gegen eine Translozierung einzuwenden. Allerdings wurde auch von Anfang an klargestellt, dass das Projekt von Rheinbraun nicht mitfinanziert werde und es zudem auf keinen Fall ihren Zeitplan verschieben dürfte. Spätestens bis zum 31.12.1998 müssten alle Arbeiten beendet sein. [5]

Trotz anfänglicher Euphorie stellten sich bald grundlegende Fragen um die Realisierbarkeit des Projekts. Bei einer gemeinsamen Besprechung aller beteiligten Parteien wurden zentrale Probleme angesprochen. Da wäre zu einem die knapp bemessene Zeit. Das Kolping Bildungswerk ging in ihrer ersten Machbarkeitsstudie fälschlicherweise von einem Zeitraum vom 01.05.1998 (laut Landschaftsverband der früheste mögliche Starttermin) bis zum 31.12.1998 aus. Doch wurde dabei nicht berücksichtigt, dass das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege bereits beauftragt worden war, von Oktober bis Dezember 1998 Ausgrabungen unter dem Gemäuer der alten Burg durchzuführen. Unter dieser Bedingung hätte die gesamte Demontage in fünf anstatt acht Monaten bewältigt werden müssen. Dies machte umso mehr Sorge, weil die Demontagetechnik ebenfalls nicht ausreichend durchdacht wurde. Um möglichst viel der ursprünglichen Bausubstanz zu erhalten, sollte die Anlage nicht „Stein für Stein“ abgetragen, sondern in sogenannte Wandscheiben [Abb. 3] zerlegt werden. Die dafür vorgesehene Sägetechnik wäre allerdings mit einer konservatorisch nicht vereinbaren Durchnässung des Gesteins verbunden gewesen, was zwangsläufig zu einer Beschädigung der porösen Bausubstanz geführt hätte. Gleichermaßen hätten Hebe- und Transportsysteme überdacht werden müssen. Für Kran und Transportfahrzeuge waren nicht entsprechende Zuwege vorhanden. Ebenso hätte eine mit Gabelstaplern 1500 qm große Lagerfläche für die nach Kommern zu transportierenden Blöcke errichtet werden. [6]


Die zeitlichen und technischen Einschränkungen schlugen sich zudem auch merklich in der finanziellen Planung nieder. Erste Kostenkalkulationen gingen von Gesamtkosten von rund 3,2 Millionen DM (ca. 1,6 Mio. EUR) allein für die Demontage und den Transport von Elsdorf nach Kommern aus, wobei der Wiederaufbau nicht einmal berücksichtigt wurde. Etwa 2 Millionen DM (ca. 1 Mio. EUR) würden dabei auf den Landschaftsverband Rheinland zurückfallen. Entscheidendes Ausschlusskriterium für das Einstellen des Projekts war aber letztendlich die Raumplanung. Die ursprüngliche Idee sah vor, die Burg Reuschenberg als neues Eingangsgebäude des Freilichtmuseums Kommern umzusetzen. Dabei sollte der Turm als Aussichtspunkt dienen und das Herrenhaus als Museumsshop und Kasse brauchbar gemacht werden. Dieser Plan sollte aber nur unter der Bedingung realisiert werden, dass die Translozierung und der Umbau der Burg in Kosten und Aufwand vergleichbar mit einer Neubaulösung wäre. Doch konnten diese Voraussetzungen leider nicht erfüllt werden. Die Burg stellte sich als zu klein heraus, und die Raumsituation war für die gewünschte Funktionalität äußerst ungünstig. So war sie zum Beispiel - wenig überraschend - nicht ausreichend behindertengerecht. [7]

Auf dieser Grundlage wurde in einer Sitzung des Kulturausschusses des Landschaftsverbandes am 18.02.1998 die schwere Entscheidung getroffen, das Projekt endgültig einzustellen. Die Entscheidung wurde mit dem Hinweis getroffen, dass es im Bergbau keine Pflicht zur Umsetzung von Denkmälern gäbe, weil „Bergrecht geht vor Denkmalpflege.“ [8]

Ein letzter Versuch, Reuschenberg doch noch vor dem Untergang zu retten, ging vom Elsdorfer Geschichtsverein aus. Dieser rief die Gemeinde in einem Appell auf, Briefe zu schreiben, um dem Kulturausschuss die kulturelle Bedeutung der Burg klarzustellen. Einige wenige Bürger gaben dazu starke Meinungen zum Ausdruck. So wurde der Verlust der Burg etwa als „barbarische Katastrophe für das Land der Dichter und Denker“ betitelt. [9] Von anderer Seite wurde dem LVR vorgeworfen, seine Pflichten laut Denkmalschutzgesetz zu verletzen. [10] Diese Einschätzung ist aber leider nicht zutreffend. Laut Beurteilung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Jahr 1990 sah das Denkmalschutzgesetz lediglich die Aufmessung und Dokumentation eines Baudenkmals bei drohender Zerstörung durch den Braunkohleabbau vor, nicht aber dessen Erhaltung. Ebenso müsse der Bodendenkmalpflege genug Zeit für die Bergung und Untersuchung vermuteter Bodenschätze gegeben sein. [11]

Die Bemühungen des Elsdorfer Geschichtsverein stellten sich dementsprechend als vergeblich heraus. Am 14.09.1997 wurde zum Tag des offenen Denkmals die Burg Reuschenberg das letzte Mal der Allgemeinheit zugänglich gemacht. Über 1000 Besuchende aus dem ganzen Rheinland nahmen die Gelegenheit wahr, der Burg ihre letzte Ehre zu erweisen. [12] Die Abrissarbeiten verliefen vergleichsweise unkompliziert. Nach dem Abbau der Anlage wurde schließlich im September 1999 das Gelände vollständig geräumt und vom Schaufelradbagger abgetragen.

Berabeitung: Paul Peters (Praktikant AFZ-ALVR)


[1] Christoph Hese/Heinz-Ludwig Kanzler: „Zieht ganze Burg nach Kommern um?“, Kölnische Rundschau 03.09.1997, in: ALVR Nr. 72278.

[2] ALVR Nr. 72278, Translozierung der Burg Reuschenberg.

[3] Vgl. Beatrice Härig: „Richtiges Denkmal, falscher Ort?“, in: Monumente-Online 3 (2021), S.34-37.

[4] Helmut Weingarten: „Häppchenweise in die Eifel?“, Kölner Stadt Anzeiger 30.10.1997, in: ALVR Nr. 72278.

[5] ALVR Nr. 72278.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] o. A.: „Elsdorfer Burg zieht nicht um“ Kölnische Rundschau 19.02.1997, in: QuelleALVR Nr. 72278.

[9] ALVR Nr. 72278.

[10] Ebd.

[11] ALVR Nr. 72236, Kleine Anfrage des Abgeordneten Grevener, Forschung und Dokumentation der Zerstörung der Siedlungstradition durch den Tagebau der Braunkohle, 02.01.1990.

[12] o. A.: „Letzter Blick auf Burg Reuschenberg“ Kölnische Rundschau 17.09.1997, S. 19, in: ALVR Nr. 72278.


Benutzte Quellen und Literatur

ALVR Nr. 72236, Kleine Anfrage des Abgeordneten Grevener, Forschung und Dokumentation der Zerstörung der Siedlungstradition durch den Tagebau der Braunkohle.

ALVR Nr. 72278, Translozierung der Burg Reuschenberg.

Beatrice Härig: „Richtiges Denkmal, falscher Ort?“, in: Monumente-Online 3 (2021), S.34-37, zuletzt abgerufen am: 17.07.2022.


Weiterführende Literatur und Links

Michael Schmauder: „Eine Burg geht in den Abbau“, in: Archäologie in Deutschland 3 (2001), S. 6-11.

Ders.: „Die Burg Reuschenberg – Dokumentation eines mittelalterlichen Herrensitzes, in: Landschafts-verband Rheinland/Rheinisches Amt für Denkmalpflege (Hrsg.), Archäologie im Rheinland 1998, S. 102-106.

Liste abgebaggerter Ortschaften: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_abgebaggerter_Ortschaften

Liste der abgerissenen Kirchengebäude im rheinischen Braunkohlerevier: Wikipedia-Link

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