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Die Fassade eines Gebäudes ist abgebildet.

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im Rheinland

25. September 1944

Konrad Adenauer wird in Brauweiler inhaftiert

Konrad Adenauer (1876–1967) zählt auch heute noch zu den bekanntesten Persönlichkeiten der deutschen Geschichte. Vor allem die langen Jahre als Oberbürgermeister von Köln (1917–1933) und als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949–1963) haben ihn der Nachwelt unvergesslich gemacht. Als Kölner Oberbürgermeister und führender Zentrumspolitiker war Konrad Adenauer am 13. März 1933 durch die Nationalsozialisten aus dem Amt gejagt worden. Er zog sich schließlich ganz in sein Haus nach Rhöndorf zurück. Adenauer-Biograph Hans-Peter Schwarz beschreibt die Jahre 1933 bis 1937 als "die bedrückendsten in Adenauers ganzem Leben". Adenauer blieb aber auch in den nächsten Jahren fortwährend im Fokus der Gestapo und des Sicherheitsdienstes, galt er doch als "führender Mann der Systemzeit" als des Widerstandes generalverdächtig.

Als bald nach dem 20. Juli 1944, dem Tag des missglückten Stauffenberg-Attentats auf Hitler, die "Aktion Gewitter" einsetzte, gehörte auch Konrad Adenauer zu den Opfern. Die in diesem Kontext einsetzenden landesweiten Verhaftungen waren auch auf ehemalige Zentrumsmitglieder ausgeweitet worden. Obwohl eine Durchsuchung seines Hauses in Rhöndorf nahe Bonn nichts Belastendes erbrachte, wurde er am 23. August 1944 verhaftet und in das Kölner Messelager gebracht. Seine hervorragenden Beziehungen - heute würde man von Vernetzung sprechen - ließen ihn nicht in den unmittelbaren Fokus des exzessiven und menschenverachtenden Umgangs des NS-Regimes mit Internierten geraten. Nachdem herauskam, dass Adenauer in das KZ Buchenwald verlegt werden sollte, gelang es ihm sogar, mit Hilfe von Freunden zunächst in das St. Elisabeth-Krankenhaus in Köln-Hohenlind verbracht zu werden, schließlich im September im Westerwald unterzutauchen.


Vonseiten der Kölner Gestapo war Kommissar Kurt Bethke mit der Leitung eines neuen Sonderkommandos beauftragt worden, das Häftlinge auf mögliche Beziehungen zu Kreisen des Widerstandes überprüfen und über weitere Maßnahmen oder Entlassungen entscheiden sollte. Gleichzeitig wurde sein Sonderkommando mit der Verfolgung von "Verfehlungen gegen Angehörige der NSDAP" beauftragt. Dies brachte Bethke in Gestapokreisen den Spitznahmen "Prominentenkommissar" ein. Nach Adenauers Unter-tauchen verhaftete Bethke seine Frau Auguste (Gussie) und brachte sie in die Kölner Gestapo-Zentrale, dem sogenannten EL-DE-Haus (nach seinem Erbauer Leopold Dahmen). Dort wurde sie mehrfach "verhört" und schließlich gezwungen, den Aufenthaltsort ihres Ehemanns preiszugeben. Im Anschluss wurde sie in das 1864 erbaute und für weibliche Gestapohäftlinge genutzte Frauenhaus auf dem Gelände der Arbeitsanstalt Brauweiler verlegt. Adenauer selbst war ausweislich der erhaltenen Häftlingsliste bereits am 25. September - dem Hochzeitstag des Ehepaars Adenauer - an seinem Aufenthaltsort im Westerwald verhaftet und umgehend nach Brauweiler verbracht worden. Dort wurde ihm im ersten Obergeschoss des so genannten Zellenbaues die Einzelzelle 57 zugewiesen. Der Zellenbau war zwischen 1907 und 1913 erbaut worden - und wurde im Jahr 1972 abgerissen. Es handelte sich um einen dreigeschossigen Bau mit 149 Zellen, in denen zunächst die männlichen Korrigenden sowie Fürsorgezöglinge untergebracht worden waren. Das Gebäude war mit einer 4,50 Meter hohen Mauer umgeben. Seit 1938 nutzte die Gestapo das Gebäude als Gefängnis.


Die frühere Provinzial-Arbeitsanstalt Brauweiler hatte in diesen Jahren bereits eine wechselvolle Geschichte hinter sich: 1809 war in den Gebäuden der 1802 aufgehobenen Benediktiner-Abtei ein Bettler-Depot eingerichtet worden, aus dem sich eine der Rheinischen Provinzialverwaltung unterstehende Arbeitsanstalt entwickelte. Nach zeitgenössischer Terminologie hatten die Insassen der Provinzial-Arbeitsanstalt Delikte wie "Landstreicherei", "Bettelei", Armut hervorgerufen durch "Müßiggang", Spielsucht oder Alkoholmissbrauch, gesetzwidrige Prostitution, "Arbeitsscheu" bei Unterstützungsempfängern, Obdachlosigkeit und schließlich auch Zuhälterei begangen.
Seit 1933 entwickelte sich die Arbeitsanstalt ganz im Sinne der neuen Machthaber, indem nunmehr die Ausgrenzung und Diskriminierung von "Asozialität" mit nie gekannter Rigorosität wie Radikalität umgesetzt wurde. 1933/34 wurde hier eines der ersten Konzentrationslager errichtet, vor allem seit 1938 erfolgte die Unterbringung ganz unterschiedlicher Gruppierungen: Genannt seien hier die vorübergehende Sammlung von "Staatsfeinden" und Juden vor dem Weitertransport in Konzentrationslager, "Edelweißpiraten" aus Köln oder auch ausländischer Widerstandskämpfer. Folter und Tötung von Häftlingen, die nach zeitgenössischer Einschätzung die Volksgemeinschaft schädigten, gehörten insbesondere in den letzten Kriegsjahren zum "Alltag" in der Anstalt.

Im Vergleich mit den anderen Insassen ging es Adenauer im Zellenbau relativ gut. Nach einer Erkrankung wurden ihm sogar Spaziergänge verordnet. Der Aufsichtsbeamte Jakob Dahmen, wie Adenauer ein gläubiger Katholik, verschaffte ihm ein Schott-Messbuch, Schreibzeug und andere Bücher und gewährte ihm sonstige Vergünstigungen. Er sorgte auch für den Aufschluss der Zelle, wenn die Gestapo nicht im Hause war. Da Adenauer zudem nur ein Fluchtversuch vorgeworfen wurde, wurde er bei den Verhören durch Gestapokommissar Bethke auch nicht Opfer von Folterungen. Im Übrigen wartete man auf Anordnungen aus Berlin, was weiter mit ihm geschehen solle.

Allerdings wurde Adenauer unmittelbarer Zeuge der Vorgänge in seinem Gebäudetrakt. So bekam er die Exzesse beim Verhör anderer Häftlinge mit, die dem ebenfalls damals in Brauweiler tätigen Gestapokommando unter Ferdinand Kütter unterstanden: Hierzu gehörten osteuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Mitglieder der Köln-Ehrenfelder Gruppe Steinbrück sowie Mitglieder der Kölner Widerstandsgruppe "Nationalkomitee Freies Deutschland". Dieses Sonderkommando zeichnete sich durch eine besondere Grausamkeit aus. Adenauers Zelle befand sich über dem Verhörraum. Adenauer schrieb später: "In dem Gestapogefängnis, in dem ich war, waren zu der Zeit 67 Leute. Davon sind 27 aufgehängt worden, und einer wurde erschossen…"


Am 26. November 1944 wurde Adenauer entlassen, da ihm keine Verbindungen zum Widerstand nachgewiesen werden konnten und die Vorwürfe sich einzig auf die Flucht aus dem Krankenhaus bezogen.

Die hier erwähnte Nutzung der Arbeitsanstalt Brauweiler durch das NS-Regime fand erst im Frühjahr 1945 mit der Besetzung des linksrheinischen Raums durch die Amerikaner ein Ende. Auch im Nachkriegs-Deutschland setzte die Arbeitsanstalt zunächst unter Anknüpfung an ihre ursprüngliche Funktion ihre Tradition fort, wurde schließlich in ein Landeskrankenhaus umgewandelt, welches bis 1978 bestand. Heute erinnert wenig an jene Jahre der Repression, auf die auch Adenauers kurzzeitiger Aufenthalt im Gestapo-Gefängnis verweist - allerdings mit zwei bezeichnenden Ausnahmen: Im Jahre 1992 wurde im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland auf der Rückseite des Bürogebäudes im heutigen Abteipark ein Gedenkstein des Rheinbacher Künstlers Fritz Lindental aufgestellt, und im Jahre 2008 wurde im Keller des ehemaligen Frauenhauses eine Gedenkstätte eingerichtet, die unmittelbaren Bezug auf jene Jahre des Terrors hat und durch Ausstellungen, Führungen und Publikationen die Erinnerung wach hält.

Noch eine weitere Reminiszenz auf Adenauers Aufenthalt gibt es: Im Bogenfeld des westlichen Rundbogenfensters im nördlichen Seitenschiff der Abteikirche Brauweiler, gestiftet von Adenauer und Jakob Dahmen, ist Adenauer als Daniel in der Löwengrube dargestellt, eine starke alttestamentarische Szene, die dem gläubigen Katholiken Adenauer sicherlich auch die Kraft zur nachträglichen Bewältigung jener bedrückenden Erlebnisse in Brauweiler gegeben haben wird.

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Anmerkungen

[1] Schwarz 1986, S. 357.
[2] Daners/Wißkirchen 2013, S. 280.
[3] Daners/Wißkirchen 2013, S. 280f.
[4] Daners/Wißkirchen 2013, S. 281, 281; Schwarz 1986, S. 415–417.
[5] Zu Bethke vgl. Daners/Wißkirchen 2006, S. 84, 92; Dies. 2013, S. 270–272.
[6] Schwarz 1986, S. 41; Daners 1996, S. 223ff.; Daners/Wißkirchen 2013, S. 285.
[7] Zur Häftlingsliste siehe: ALVR, Bestand Arbeitsanstalt und Rheinische Landesklinik Brauweiler, Nr. 15080. Zum Frauenhaus vgl. Daners/Wißkirchen 2006, S. 17, 62.
[8] Daners/Wißkirchen 2013, S. 285, 297.
[9] Daners/Wißkirchen 2006, S. 18–21; Dies., S. 217ff.
[10] Grundlegend zur Geschichte der Arbeitsanstalt Brauweiler Daners 1996.
[11] Daners/Wißkirchen 2013, S. 285.
[12] Zu Kütter vgl. Daners/Wißkirchen 2013, S. 300.
[13] Daners/Wißkirchen 2013, S. 285, 294ff.
[14] Zitat bei Schwarz 1986, S. 419.
[15] Daners/Wißkirchen, S. 286.
[16] Daners/Wißkirchen 2006, S. 150–151; zur Gedenkstätte vgl. Gedenkstätte Brauweiler (zuletzt abgerufen am 27.08.2015)


Weiterführende Quellen und Literatur:

  • Archiv des LVR, Bestand Arbeitsanstalt und Rheinische Landesklinik Brauweiler
  • Daners, Hermann: "Ab nach Brauweiler". Nutzung der Abtei Brauweiler als Arbeitsanstalt, Gestapogefängnis, Landeskrankenhaus… Pulheim 1996
  • Daners, Hermann: das GESTAPO-Gefängnis Brauweiler und das Sonderkommando Bethke, in: Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde. Bd. 16 (1992), S. 237–267
  • Daners, Hermann /Wißkirchen, Josef: Was in Brauweiler geschah. Die NS-Zeit und ihre Folgen in der Rheinischen Provinzial-Arbeitsanstalt. Dokumentation. Pulheim 2006
  • Daners, Hermann / Wißkirchen, Josef: Die Arbeitsanstalt Brauweiler bei Köln in nationalsozialistischer Zeit. Essen 2013
  • Schreiner, Peter / Tontsch, Monika: Die Abteikirche St. Nikolaus und St. Medardus in Brauweiler. 3. Auflage Pulheim 2011
  • Schwarz, Hans-Peter: Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952. Stuttgart 1986

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