Seine Persönlichkeit und seine Stellung als Kölner Oberbürgermeister brachten es mit sich, dass Konrad Adenauer im Laufe seiner Amtszeit zahlreiche Ämter und Funktionen innehatte. Dazu gehörte auch die Vertretung der Stadt Köln im Rheinischen Provinzialverband. Zunächst gehörte er seit dem 28. Dezember 1917, kurz nach seiner Wahl zum Oberbürgermeister, dem Provinziallandtag an. Am 20. März 1918 wurde er zudem in den Provinzialausschuss gewählt, in dem er die Nachfolge des ehemaligen Oberbürgermeisters Max Wallraf antrat. Die Wahl erfolgte auf eine eher formlose und unspektakuläre Art auf Vorschlag der Abgeordneten aus dem Regierungsbezirk Köln. Da sich gegen die Wahl „auf Zuruf“ keine Bedenken erhoben, wurde der frisch Gewählte anschließend lediglich gefragt, ob er das Votum akzeptiere. Adenauer bejahte: „Ich nehme die Wahl mit Dank an“.[1]
Während der Kölner Oberbürgermeister in seiner Zeit als Abgeordneter des Rheinischen Provinziallandtags nicht weiter mit Initiativen auffiel oder nur in Ausnahmefällen als Redner in Erscheinung trat, entwickelte er als Mitglied des Provinzialausschusses eine rege und weitreichende Tätigkeit. Von Beginn an hatte er offenbar die Einflussmöglichkeiten, die dieses Amt bot, erkannt. Folgerichtig strebte er den Vorsitz des Gremiums an, den er schließlich am 11. Dezember 1920 übernahm.[2] Bereits in der Rede, die er nach der Wahl hielt, brachte Adenauer zum Ausdruck, dass er – bei aller Anerkennung für die bislang geleistete Arbeit der Provinzialverwaltung – eine neuen Abschnitt in der Entwicklung des Provinzialverbandes angebrochen sah, der in der öffentlichen Wahrnehmung stärker als bisher hervortreten sollte.[3] Noch am selben Tag hielt er die erste Sitzung als Vorsitzender ab. Adenauer demonstrierte damit, dass er die neue Funktion offenkundig ernst nahm, und gab einen Vorgeschmack auf die energische Amtsführung der kommenden Jahre.[4]
Der Provinzialausschuss war das höchste Verwaltungsgremium des Provinzialverbandes der preußischen Rheinprovinz. Er bestand aus 13 Mitgliedern, die durch den Provinziallandtag auf sechs Jahre gewählt wurden oder ihm durch ihr Amt, z. B. als Landeshauptmann, angehörten. Formal war das Gremium dem Provinziallandtag untergeordnet, dessen Beschlüsse er vorzubereiten und auszuführen hatte. Dennoch standen dem Ausschuss zahlreiche Optionen zur Verfügung, in verschiedener Hinsicht Einfluss auszuüben.[5] Seine Mitglieder ernannten die Beamten des Provinzialverbandes – soweit dieses Recht nicht dem Provinziallandtag vorbehalten war – und überwachten deren Amtsführung. Außerdem wirkten die Ausschussmitglieder an den Wahlen zu zahlreichen Gremien und Kommissionen mit, z. B. dem Reichsrat, dem Provinzialrat und den Bezirksausschüssen der Regierungspräsidenten. Das mit Abstand wichtigste Mitspracherecht war im § 86 der preußischen Verfassung geregelt. Demnach waren die ranghöchsten staatlichen Beamten der Rheinprovinz, der Oberpräsident und die Regierungspräsidenten, sowie weitere hohe preußische Amtsträger im Einvernehmen mit dem Provinzialausschuss zu bestimmen.[6]
Konrad Adenauer war sich des Potenzials, das insbesondere mit den letztgenannten Stellenbesetzungen verbunden war, von Beginn an bewusst. Gerade in den unruhigen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, in den Zeiten sezessionistischer Rheinlandbestrebungen und der Besetzung des Rheinlands durch alliierte Truppen war die Besetzung von Schlüsselfunktionen der staatlichen oder höheren kommunalen Verwaltung von immenser Bedeutung. Konrad Adenauer gelang es auf diese Weise, eine Personalpolitik zu betreiben, die weit über Köln und die üblichen Einflusssphären eines Kölner Oberbürgermeisters hinausging.
Eine erste Möglichkeit, die Reichweite der neuen Befugnisse zu testen, ergab sich bereits 1921, nur wenige Monate, nachdem Adenauer den Vorsitz übernommen hatte. Der Kölner Regierungspräsident Philipp Brugger schied im April 1921 aus dem Amt. Als Oberbürgermeister der Stadt musste die Neubesetzung für Adenauer von besonderem Interesse sein. Nachdem die preußische Staatsregierung mehrere Kandidaten ins Spiel gebracht hatte, erklärte Adenauer seine Präferenz für Sigmund Adelmann von Adelmannsfelden.[7] Dieser wurde schließlich von der Staatsregierung vorgeschlagen und fand im Dezember 1921 in geheimer Sitzung die förmliche Zustimmung des Provinzialausschusses.[8] Allerdings liefen Stellenbesetzungen nicht in jedem Fall derart einvernehmlich ab.
Als im Jahr 1922 Neubesetzungen der Regierungspräsidien von Aachen und Koblenz anstanden, stießen die Vorschläge aus Berlin nicht auf die Zustimmung Adenauers und des Provinzialausschusses.[9] Auf dem Verhandlungsweg wurden zwischen dem rheinischen Provinzialverband, vertreten durch Adenauer und Landeshauptmann Johannes Horion, und der Berliner Zentralregierung verschiedene Lösungswege erörtert. Auch in diesem Fall setzte Adenauer letztlich seine Vorstellungen durch und brachte seine Favoriten ins Amt.[10] Adenauer bewies in Personalfragen eine erstaunliche Durchsetzungskraft sowohl gegen Widerstände in der preußischen Staatsregierung, bisweilen sogar gegen Opponenten aus der eigenen Zentrumspartei. Er war damit so erfolgreich, dass „gegen seinen ausgesprochenen Willen keine Ernennung erfolgte. Er hat es dabei offenbar stets verstanden, die Mehrheit des Provinzialausschusses zu gewinnen“. [11]
Zwar konnte Konrad Adenauer die Vorrechte des Provinzialverbandes erfolgreich gegen alle Widerstände wahren und zur Anerkennung bringen. Dennoch entzündete sich an seiner Amtsführung schon bald Kritik. Aus den Reihen der Abgeordneten des Provinziallandtags wurde im Dezember 1922 der Vorwurf laut, Adenauer kehre die Rangordnung der beiden Gremien um, indem er den Provinzialausschuss über den Landtag stelle.[12]
Daneben nutzte Adenauer den Vorsitz zur Vertretung der Interessen seiner Stadt. Dies wird bei der Eingemeindung von Worringen deutlich. Am 3. Februar 1921 beschlossen die Kölner Stadtverordneten-Versammlung und der Worringer Gemeinderat die Eingemeindung. Dagegen erhob der Landkreis Köln umgehend Protest. Auch in diesem Fall nutzte Adenauer seine Position im Provinzialverband. Zunächst erarbeitete die Kölner Stadtverwaltung unter seiner Ägide ein Gutachten. Dann erwirkte er im Provinzialausschuss am 17. Juni 1921 die Empfehlung, „der 61. Provinziallandtag spricht sich für die Vereinigung der Landgemeinde Worringen mit der Stadt Köln aus“.[13] Daneben ließ er als Vorsitzender des Ausschusses einen „Bericht und Antrag“ des Provinzialausschusses an den Provinziallandtag anfertigen, der die Eingemeindung guthieß und alle Einsprüche ablehnte.[14] Der Landtag schloss sich diesem Gutachten an und empfahl dem preußischen Staat, der Eingemeindung zuzustimmen. Einmal mehr hatte Adenauer sein Ziel erreicht.
Konrad Adenauer wurde 1926 im Amt des Vorsitzenden des Provinzialausschusses bestätigt und griff noch mehrmals in Personalentscheidungen in der Rheinprovinz ein. Erst mit der Machtübernahme der NSDAP, die 1933 auch die Mehrheit im Provinziallandtag stellte, verzichtete er auf eine erneute Kandidatur und schied aus den Gremien des Provinzialverbandes aus.
[1] Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (im Weiteren ALVR), Bestand Besatzung, Nr. 1352; Abdruck in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des 58. Provinziallandtags im Ständehaus in Düsseldorf, vom 17. März bis zum 21. März 1918. Düsseldorf 1918, S. 44 f.
[2] ALVR, Bestand Besatzung, Nr. 1354; Abdruck in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des 59. Provinziallandtags im Ständehaus in Düsseldorf, vom 5. Dezember bis zum 11. Dezember 1920. Düsseldorf 1920, S. 170 f. Nur wenige Monate später, am 15. März 1921, bestätigte der 60. Provinziallandtag Adenauer in diesem Amt. Vgl.: ALVR, Bestand Besatzung, Nr. 1360.
[3] ALVR, Bestand Besatzung, Nr. 1354; Abdruck in: Konrad Adenauer 1917–1933. Dokumente aus den Kölner Jahren, hrsg. von Günther Schulz im Auftrag der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus (Rheinprovinz 15). Köln 2007, Nr. 2, S. 62 ff.
[4] ALVR, Bestand Besatzung, Nr. 2084. Die Protokolle der Provinzialausschuss-Sitzungen sind vollständig überliefert und erlauben einen tiefen Blick in die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der Zwischenkriegszeit.
[5] Die Rechte und Pflichten des Ausschusses wurden in den §§ 58–61 der Provinzialordnung für die Rheinprovinz vom 1. Juni 1887 festgelegt.
[6] Verfassung des Freistaats Preußen vom 30. November 1920, § 86, in: Preußische Gesetzessammlung, Jg. 1920, Nr. 54, S. 558.
[7] Zur Personalpolitik Konrad Adenauers siehe: Romeyk, Horst: Adenauers Beziehungen zum Rheinischen Provinzialverband und zu staatlichen Behörden, in: Konrad Adenauer. Oberbürgermeister von Köln. Festgabe der Stadt Köln zum 100. Geburtstag ihres Ehrenbürgers am 5. Januar 1976, hrsg. von Hugo Stehkämper. Köln 1976, S. 305 ff.
[8] ALVR, Bestand Besatzung, Nr. 2106.
[9] Romeyk, Adenauer, S. 306 f.
[10) Der Kölner Paul Brandt wurde in Koblenz Regierungspräsident, während in Aachen Wilhelm Rombach das Amt übernahm. Zu den Personen siehe: Romeyk, Horst: Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816–1945 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde LXIX). Düsseldorf 1994, S. 376 f., S. 699.
[11] Romeyk, Adenauer, S. 309.
[12] ALVR, Bestand Besatzung, Nr. 1373; Abdruck in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des 64. Provinziallandtags im Ständehaus in Düsseldorf vom 18. und 19. Dezember bis 1922. Düsseldorf 1923, S. 15 ff.
[13] ALVR, Bestand Besatzung, Nr. 2106.
[14] Bericht und Antrag des Provinzialausschusses betreffend die Vereinigung der Landgemeinde Worringen mit der Stadtgemeinde Köln, in: Verhandlungen des 61. Rheinischen Provinziallandtags vom 10. Juli bis 18. Juli 1921 im Ständehaus in Düsseldorf. Düsseldorf 1921, S. 130 ff.