Es sind Sätze wie diese, mit denen der jüdische Bankier M. L. Scheuer Ende November 1833 versuchte, die vollkommene Emanzipation der jüdischen Bevölkerung in der preußischen Rheinprovinz zu erreichen. Hierzu richtete er seine Denkschrift mit einem Begleitschreiben an den vierten rheinischen Provinziallandtag. Er beantragte die "völlige Emancipation der Juden."[1] Doch was bedeutete dies? Was gab den Anlass, dass ein Düsseldorfer Bankier um die rechtliche und politische Teilhabe in seinem Land bitten musste?
Die Antwort auf letztere Frage ist schnell gefunden: Er war, wie viele Andere, denen der Dienst am und im Staat versagt blieb, als Jude geboren. Zu jener Zeit bedeutete dies ein hohes Maß an Ausgrenzung, wie auch Scheuer in seiner Denkschrift darlegte. Der Bankier zeigte, dass eben jene Ausgrenzungen die Grundlage ihrer eigenen Rechtfertigung waren. Ein Beispiel, das er beschrieb, war der Vorwurf, dass Juden nicht integrationswillig seien und "gleichsam einen Staat im Staate bildeten."[2] Er beschrieb, dass es zu diesen Wahrnehmungen komme, da Juden u.a. "nur in den abgelegensten Winkeln der Städte"[3] geduldet würden und eine "eheliche Verbindung mit [ihren] Kindern als ein Greuel betrachtet"[4] werde.
Dass Integration nicht funktioniert, indem man Menschen an einem Ort konzentriert oder ausgrenzt, veranschaulichte der Düsseldorfer Bankier ebenso vor knapp 200 Jahren, wie die Tatsache, dass Beschränkungen in der Berufswahl unweigerlich dazu führen, dass der Mensch andere Möglichkeiten sucht, Geld zu verdienen und sei es in "den elendesten Erwerbszweigen".[5] Die Gesamtheit der Diskriminierungen verdeutlicht, dass das Leben als Jude im 19. Jahrhundert nicht einfach war. Vor allem wenn man in Gebieten wohnte, die kurze Zeit zuvor noch zu Frankreich gehört hatten und rechtlich reformiert worden waren. So kamen beispielsweise die sogenannten "bergischen Juden", zu denen der Düsseldorfer zählte, während der französischen Besetzung, bis 1813[6], bereits in den Genuss des vollen Staats- und Bürgerrechts .[7] Diese Rechte waren nach 1815 zwar weiterhin gültig, wurden de facto jedoch eingeschränkt, indem bereits 1816 Juden von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wurden.[8] Von einer völligen Gleichstellung der jüdischen mit der restlichen Bevölkerung konnte somit nicht gesprochen werden. Zumal in den ehemals französischen Gebieten am Rhein für Juden völlig verschiedene Rechtszustände galten. So waren Juden im ehemaligen Großherzogtum Berg, wie oben bereits angemerkt, rechtlich der restlichen Bevölkerung gleichgestellt. während bspw. im Linksrheinischen diese Gleichstellung bereits 1808 von Napoleon per Dekret[9] eingeschränkt worden war und im Herzogtum Nassau noch Regelungen aus dem Heiligen Römischen Reich galten, die eine Gleichstellung überhaupt nicht vorsahen.[10]
Was wollte der Düsseldorfer Bankier also erreichen? Was bedeutete für ihn die "völlige Emancipation der Juden"?[11] Er bat um eine rechtliche Verbesserung der Lage für Juden, eine einheitliche Gesetzgebung für die gesamte Rheinprovinz und wies daraufhin, "daß [!] die religiöse Meinung mit dem bürgerlichen Rechte nichts zu thun hat".[12] Dieser moderne Gedanke ist einer der zentralen Punkte in Scheuers Überlegungen, und auch wenn der vierte Provinziallandtag seiner Bitte nicht entsprach,[13] so konnte sich dieser Gedanke letztendlich doch durchsetzen.
Eineinhalb Jahrzehnte später wurde der siebte rheinische Provinziallandtag in jener Sache beim preußischen König vorstellig. Wie aus dem Schreiben an den Monarchen hervorgeht, sah sich der Landtag durch die Öffentlichkeit dazu gezwungen. Diese Haltung ergibt sich u.a. aus dem Grundton der Note und den entschuldigenden Formulierungen wie: "[…] als hier Beweggründe des eigenen Vortheils fern liegen[…]".[14] Die Versammlung bat den König um „die rechtliche und bürgerliche Gleichstellung der Juden“.[15] Dies entsprach durchaus dem Zeitgeist, da nur kurze Zeit später - 1848 - die erste deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main die Emanzipation der Juden in Artikel 5 §15 vollzog.[16] Zwar wurden diese Grundrechte bereits 1851 nach Wiederherstellung des Deutschen Bundes wieder abgeschafft,[17] doch sollte die endgültige Emanzipation der jüdischen Bevölkerung nicht mehr sehr lange auf sich warten lassen. 1869 wurde durch den preußischen König und späteren Kaiser Wilhelm I. ein Gesetz erlassen, welches die rechtliche Gleichstellung der Juden auf dem Gebiet des Norddeutschen Bundes ausrief. Diese Regelung wurde nur zwei Jahre später eines der Reichsgesetze im Deutschen Reich.[18]
Ob der Bankier Scheuer persönlich noch in den Genuss dieser Rechte kam, ist auf Grund der fehlenden Daten zu seiner Person nicht überliefert. Mit seiner Denkschrift, die er an den damaligen Provinziallandtag richtete, tat er zweifelsohne etwas Gutes für seine Glaubensgenossen, da selbst der damalige Provinziallandtag in seiner Antwort bereits dem Bankier bescheinigte, dass "berücksichtigungswerthe Gründe dasselbe [die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung] unterstützen".[19]
M. L. Scheuer konnte anhand seiner Denkschrift viele der Vorurteile widerlegen oder zumindest die Ursache für diese Vorurteile benennen. Sie regt auch vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen zum Nachdenken an, denn "[…] es dürfte nicht schwer sein, zu beweisen, daß alle Thatsachen, welche man zur Rechtfertigung der Einschränkungen anführt, grade die dringendste Mahnung für die Aufhebung derselben enthalten."[20]
[1] Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR) 373, Bl. 86 r.
[2] Zitiert nach: KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, Bd. 1, S. 195, Nr. 47.
[3] Zitiert nach: ebd.
[4] Zitiert nach: ebd.
[5] Vgl. ebd., S. 195.
[6] Vgl. FLEERMANN: Marginalisierung, S. 127.
[7] Vgl. HERZIG: 1815-1933, S. 36. & DIETER KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 17.
[8] Vgl. FLEERMANN: Marginalisierung, S. 127 f.
[9] Im sog. „schändlichen Dekret“ oder auch „Wucherdekret“, hatte Napoleon die „Freizügigkeit und freie Erwerbstätigkeit für Juden beseitigt.“ (vgl. KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, Bd. 1, S. 15)
[10] Vgl. KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, Bd. 1, S. 112-121, Nr. 8.
[11] ALVR 373, Bl. 86 r; Vgl. hierzu auch: KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, Bd. 1, S. 129, Nr. 14.
[12] Zitiert nach: KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, Bd. 1, S. 195, Nr. 47.
[13] Vgl. KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, Bd 1, S. 201, Nr. 50.
[14] Zitiert nach: KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 679, Bd. 2, Nr. 246.
[15] Zitiert nach: ebd.
[16] Vgl. Artikel V §§ 144-146 der Frankfurter Reichsverfassung; online abrufbar unter: Link (Zugriff am 14.11.2016). Vgl. ebenso: DROYSEN: Die Verhandlungen, S. 8 f. & OTTOW: Die Grundrechte, S. 24 ff.
[17] Vgl. HEIN: Die Revolution, S. 104 ff.
[18] Vgl. KASTNER: Der Rheinische Provinziallandtag, Bd. 1, S. 71.
[19] ALVR 373, Bl. 103.
[20] ALVR 373, Bl. 90 v.