Die Transparenz des Verwaltungshandelns und der politischen Entscheidungsfindung wird heute als Selbstverständlichkeit in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft vorausgesetzt. Obiges Zitat aus einem Antrag des Provinzial-Verwaltungsrates vom 6. April 1877 bezieht sich jedoch auf das ausdrückliche Verbot der Öffentlichkeit von Sitzungen des Rheinischen Provinziallandtages. Mit dieser kritischen Einschätzung untermauerten Politiker des Rheinlands zum wiederholten Male einen Antrag, welcher auf die Zulassung der Öffentlichkeit oder die Namensnennung in den stenographischen Berichten der Sitzung abzielte.[1]
Der Rheinische Provinziallandtag, ins Leben gerufen durch das „Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände in den Rheinprovinzen“ vom 27. März 1824, trat am 29. Oktober 1826 zu seiner ersten Sitzung zusammen, wie gesagt: nicht öffentlich. Der Provinziallandtag diente bis in die 1850er Jahre als preußisches „Ersatzparlament“, indem dort alle die Rheinprovinz betreffenden Themen diskutiert und zahlreiche Petitionen an den preußischen König gerichtet wurden. Das ständische Element findet sich auch im Sitzplan wieder: die drei Fürsten, Angehörige aus fünf Familien ehemals reichsunmittelbarer Territorien, hatten als Erster Stand die vornehmsten Plätze gegenüber dem Präsidium (Landtagsmarschall), an den Seiten waren die 25 Vertreter der Ritterschaft (Zweiter Stand, Eigentümer von Rittergütern, also Grundbesitzer) platziert. Die Vertreter der Städte (Dritter Stand, 25 Abgeordnete) und Landgemeinden (Vierter Stand, ebenfalls 25 Abgeordnete) saßen „im Parterre“, wobei die Städtevertreter die beiden vorderen Reihen einnahmen. Man saß also nicht entsprechend der „Fraktionszugehörigkeit“ oder dem Namensalphabet, sondern nach der Ständezugehörigkeit. Als Vertreter des Dritten und Vierten Standes konnten nur „Steuerbürger“ agieren, d. h. nur Personen, die mindestens 38 bzw. 15 Silbermark an Grund- und Gewerbesteuer entrichteten, waren für den Dritten Stand (Städte) bzw. den Vierten Stand (Landgemeinden) wahlberechtigt.
Dr. Johann Peter Josef Monheim, Abgeordneter der Stadt Aachen, richtete am 26. Mai 1843 den Antrag an den Provinziallandtag, die Öffentlichkeit der Sitzungen herbeizuführen. Dieser Antrag wurde begleitet von Anträgen des Stadtrates von Trier und der Abgeordneten der Städte Bonn, Kleve, Wesel und Geldern zur „vollständigen Veröffentlichung der Landtags-Verhandlungen“ (also auch der Nennung der Namen der Redner). Doch die Anträge blieben erfolglos.[2]
Der Provinziallandtag hatte am 22. Februar 1845 erneut eine Eingabe an den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. gerichtet und um Genehmigung zur Öffentlichkeit seiner Sitzungen und um Aufhebung des Genehmigungsvorbehaltes der Sitzungsprotokolle durch den Landtagskommissar (also quasi den Vertreter des Königs vor Ort und damit einer gewissen Zensur) gebeten, was durch Erlass des preußischen Königs Friedrich Wilhelm vom 13. März 1845 abschlägig beschieden worden war. Diese Ablehnung wurde durch den königlichen Landtagsabschied vom 27. Dezember 1845 bestätigt. Die Sitzungen blieben somit nicht öffentlich.[3]
Mit dem Jahr 1871 beginnt ein Umbruch: Die gemeinsame Verwaltung von Einrichtungen wie der sogenannten „Irrenheil-Anstalt“ Siegburg oder der Arbeitsanstalt Brauweiler durch Kommissionen aus Staatsregierung und Provinzialständen wurde aufgegeben, ein „Regulativ für die Organisation der Verwaltung des provinzialständischen Vermögens und der provinzialständischen Anstalten“ konzipiert. In dieser Zeit des Übergangs der Rheinischen Provinzialstände zur Rheinischen Provinzialverwaltung als Selbstverwaltungsorgan war der Provinzial-Verwaltungsrat das geschäftsführende Gremium; er bestand aus 15 gewählten Mitgliedern.
Vorsitzender war Wilhelm Fürst zu Wied, seit 1875 auch Vorsitzender des Provinziallandtages. Wied hatte in seiner militärischen Karriere den Kronprinzen Wilhelm persönlich kennengelernt: Er war mehrere Monate dessen Stab zugeteilt und auf Grund seiner vielfältigen Interessen bestens vernetzt; er galt als Liberaler.[4] Der Provinzial-Verwaltungsrat richtete am 6. April 1877 mit seiner Unterschrift den Antrag an den 25. Provinziallandtag, selbiger möge durch eine Adresse (also eine Petition) an „des Kaisers und Königs Majestät“[5] die Öffentlichkeit der Sitzungen erbitten – als vertrauensschaffende Maßnahme. Der I. Ausschuss des Landtages beriet diesen Antrag in seiner Sitzung vom 11. April 1877 und trat den Ausführungen bei. Der Ausschuss ergänzte die Begründung um das Argument, dass „für die Sitzungen der Kommunal-Verwaltungen bereits seit langen Jahren in unserer Provinz die Oeffentlichkeit bestehe“.[6] Die Diskussion des Landtags über den Antrag scheint recht kurz gewesen zu sein. Im gedruckten Protokoll der 5. Landtagssitzung vom 13. April 1877, welche in der Aula der Realschule Düsseldorf stattfand, nimmt sie exakt neun Zeilen ein. Nach Erstattung des Referates des Ausschusses und Verlesung des Antrages beantragte Johann Wilhelm Kaesen (Köln, Liberaler) die Streichung des Teils „vom Zeitpunkt der Fertigstellung des neuen Ständehauses ab“.[7] Der Referent des Ausschusses, Karl Ludwig Lautz (Trier, Nationalliberal) teilte mit, dass der Ausschuss dem Streichungsvorschlag inhaltlich beitrete, es aber aktuell keinen geeigneten Sitzungsraum gebe. Der Abgeordnete Nicolaus Bremig (Koblenz, Freisinnig)[8] stützte den Antrag von Herrn Kaesen. Weitere Wortmeldungen sind nicht protokolliert und die Petition wurde mit Streichung angenommen. Wilhelm Fürst zu Wied unterschrieb am 18. April die Petition und das Begleitschreiben an den Königlichen Landtagskommissar – die Akte im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland endet damit.[9]
Wahrscheinlich erfolgte eine Reaktion aus Berlin erst zwei Jahre später mit dem förmlichen Landtagsabschied vom 9. April 1879, welcher vom gesamten Kabinett unterzeichnet in den Verhandlungen des 26. Rheinischen Provinziallandtages abgedruckt ist: „Die Entscheidung auf die von unseren getreuen Ständen in der Adresse vom 18. April 1877 vorgetragene Bitte um Gestattung der Öffentlichkeit der Sitzungen müssen wir uns vorbehalten“.[10]
Erst mit der Provinzialordnung von 1887 wurde das ständische Element abgeschafft und die Sitzungen des Provinziallandtags wurden grundsätzlich öffentlich. Nur für "einzelne Gegenstände" konnte in besonderer Sitzung beschlossen werden, die Öffentlichkeit auszuschließen. Diese neue Haltung zeigt sich auch in der Sitzordnung im Sitzungssaal des 1881 fertiggestellten „Ständehauses“ in Düsseldorf, die auf der Fotografie von 1925 keine „hierarchische“ Grundstruktur mehr hat.
Mehr zur Geschichte des Rheinlands, insbesondere der Region Rhein-Erft-Rur unter preußischer Verwaltung erfahren Sie in der Ausstellung „… und nenne Euch Preußen“ der Arbeitsgemeinschaft der Archive im Rhein-Erft-Kreis und des Stadt- und Kreisarchivs Düren, die vom 5. Mai bis 18. Juni 2017 im Winterrefektorium des LVR-Kulturzentrums Abtei Brauweiler zu sehen ist.
Link zur Ausstellung
[1] Vgl. Antrag des Provinzial-Verwaltungsrates vom 6. April 1877 an den 25. Rheinischen Provinzial-Landtag, Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (im Weiteren ALVR), Bestand Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, Nr. 198, S. 76.
[2] Vgl. ALVR, Bestand Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, Nr. 198, S. 3 ff.
[3] Vgl. ALVR, Bestand Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, Nr. 198, S. 25; Verhandlungen des achten Rheinischen Provinzial-Landtags nebst dem Allerhöchsten Landtags-Abschiede d. d. Berlin, den 27. Dezember 1845. Koblenz 1846, S. 16 ff.; online abrufbar unter Link (zuletzt aufgerufen am 20.04.2017).
[4] Vgl. Torunsky, Vera (Bearb.): Die Abgeordneten der Rheinischen Provinziallandtage und Landschaftsversammlungen. Ein biographisches Handbuch. Band 1. Die Abgeordneten der Provinziallandtage und ihre Stellvertreter 1825-1888 (Rheinprovinz 12). Köln 1998, S. 513 f.
[5] Vgl. Antrag des Provinzial-Verwaltungsrates vom 6. April 1877 an den 25. Rheinischen Provinzial-Landtag, ALVR, Bestand Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, Nr. 198, S. 76.
[6] Vgl. Verhandlungen des im Jahre 1877 versammelt gewesenen fünfundzwanzigsten Rheinischen Provinzial-Landtags. Düsseldorf 1877, S. 47 f; online abrufbar unter: Link (zuletzt aufgerufen am 20.04.2017).
[7] Ebenda, S. 48.
[8] Vgl. Torunsky, Vera (Bearb.): Die Abgeordneten der Rheinischen Provinziallandtage und Landschaftsversammlungen. Ein biographisches Handbuch. Band 1, S. 74 f. (Bremig), S. 244 f. (Kaesen) und S. 281. (Lautz).
[9] Vgl. ALVR, Bestand Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, Nr. 198, S. 76-80.
[8] Vgl. Verhandlungen des im Jahre 1879 versammelt gewesenen sechsundzwanzigsten Rheinischen Provinzial-Landtags. Düsseldorf 1879, S. 4 f.; online abrufbar unter: Link (zuletzt aufgerufen am 20.04.2017).