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„Ein Hoch auf die Nudel!“

So oder so ähnlich könnte es scherzhaft geklungen haben, als man beim Provinziallandtag 1826 die Beschwerde eines Nudelfabrikanten aus Düsseldorf vorbrachte und seinem Gesuch um Förderung der inländischen Nudel-Industrie „zum Schutze gegen das Ausland“ Gehör gab. Dem vorausgegangen war ein ausführliches Beschwerdeschreiben, das vor allem die vielfachen Steuern und Abgaben auf die in der Rheinprovinz hergestellten Nudeln auf Basis von „Weitzenmehl“ kritisiert, wohingegen der „Ausländer“ beispielsweise die „Mahlsteuer“ nicht zu zahlen und deshalb einen besseren Verdienst habe als der rheinische Nudelist. Die Mahl- und Schlachtsteuern waren 1820 in Preußen sogenannte Aufwandssteuern auf im Inland erzeugte Güter. Da ausländische Güter eben nicht im Inland produziert wurden, blieben sie anders als der Düsseldorfer Nudelfabrikant von der Mahlsteuer befreit.

Eindrucksvoll beschreibt der Nudelfabrikant die Bedeutung seines nahrhaften Fabrikats für die in der Rheinprovinz lebenden Menschen

„In den Rheinprovinzen bestehen schon jetzt vier Nudelfabriken, welche bei voller Beschäftigung so wohl diese, als Westphalen in Überfluß versorgen können, in dem sie mit einfachen Maschinen 2100 Zentner Nudeln liefern, und 40 Familien nähren können“. [1]


Sein elfseitiges Schreiben ist wahrlich eine Lobpreisung auf die Nudel als nahrhafte und sättigende Speise, und das, wo sich zuvor die Kartoffel in Preußen erst durch die regen Bemühungen Friedrichs II. seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchzusetzen begann.

Ob seine Beschwerde dem Nudelfabrikanten oder gar seinem Nudelkollegen aus Neuss, der eine ähnliche Beschwerde in schriftlicher Form einreichte, etwas brachte, ist indes nicht überliefert. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass gerade in den frühen Jahren nach der Konstitution der Provinzialstände und des Provinziallandtages von den Vertretern die Aufgabe wahrgenommen wurde, die Wünsche des „Volkes“ gegenüber der Regierung zu vertreten; gleich welcher Art sie auch zu sein schienen. Der 1826 amtierende Landtagsmarschall, der die Verhandlungen führte und vom König selbst aus den Reihen des ersten oder zweiten Standes gewählt wurde, wird über die Nudelprobleme allerdings nur müde gelächelt, vielleicht auch etwas geschmunzelt haben. Einige Jahre später sind Beschwerden wie die des Nudelfabrikanten aus Düsseldorf sicherlich nicht einmal gelesen worden, geschweige denn im Provinziallandtag wahrhaftig zur Sprache gekommen. Und das nicht nur, weil die Zeit ganz andere Probleme mit sich brachte, sondern vor allem, weil sich Struktur und Befugnisse der Provinzialstände zunehmend veränderten.

Am 29. Oktober 1826 fand der erste Rheinische Provinziallandtag statt, über deren Organisation und Einrichtung auch die erste verzeichnete Akte im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (ALVR) zu berichten weiß. [2] Der Provinziallandtag, so berichtet der Landeshauptmann Horion im Jahr 1925, „[…] sollte eine Vertretung des Volkes darstellen, aber das Volk sollte dabei vertreten werden durch die vier Stände“. [3] Der erste Stand setzte sich aus Fürsten, der zweite Stand aus den Reihen der Ritter zusammen. Den dritten und vierten Stand machten sodann Vertreter von Städten und Landgemeinden aus, wobei hier wohlgemerkt Grundbesitz mit „hoher Grundsteuerleistung“ eine unabdingbare Voraussetzung für einen Vertretungsposten war.

Die Provinzialstände hatten in erster Linie beratende Funktionen und sollten ein Sprachrohr des „Volkes“ gegenüber der Regierung, dem König, darstellen. Das Petitionsrecht ermöglichte ihnen dabei die Einbringung von Bitten und Beschwerden, die dann vom König bzw. dem von ihm gewählten Landtagsmarschall verhandelt wurden. Inwiefern dies in den Jahren nach 1826 betrieben wurde, lässt sich anhand von Protokollen des Rheinischen Provinziallandtages nachvollziehen. [4] Beschlussfunktionen hatten sie hier jedoch noch keine; lediglich in geringem Umfang Mitwirkungsspielraum. Bereits 1851 erweiterte sich die Funktion der Provinzialstände dahingehend, dass sie neben ihrer bisherigen Beratungsfunktion auch Beschlussrecht in Provinzialangelegenheiten erhielten. [5] Unklar blieb zunächst jedoch, was genau unter „Provinzialangelegenheiten“ zu verstehen war. Erst in den Folgejahren erweiterten sich die Kompetenzen der Provinzialstände „in kleinen Schritten“, d. h. von Landtag zu Landtag wurden den Provinzialständen mehr Aufgaben zugeteilt. 1854 kamen das "Taubstummenwesen" sowie die Provinzialhilfskasse dazu, wenige Jahre später auch einzelne Bereiche der "Blindenfürsorge". [6] Doch erst mit dem Landtagsbescheid vom 8. Juni 1871, als die gemeinsame Verwaltung des Landes von Staatsregierung und Ständen unterschiedlicher Herkunft verworfen wurde, veränderte sich die Situation grundlegend. [7] Der neu gebildeten Provinzialverwaltung wurde das Selbstverwaltungsrecht in den ihnen zugeschriebenen Aufgabenbereichen anerkannt. [8]

Was nun folgte war eine Reihe von Änderungen, worunter auch eben jene fiel, die am 27. September 1871 vom König selbst bestätigt und genehmigt wurde: „dem Provinziallandtag [wurde] das Recht gewährt, die Geldbedürfnisse durch Umlagen zu decken“. [9] Erst hierdurch ist ein praktisches Handeln wirklich möglich geworden.


Kehren wir an dieser Stelle aber noch einmal zurück zu unserem Nudelfabrikanten aus Düsseldorf, der im Jahr 1826 noch das Glück hatte, dass seiner Beschwerde, die nicht wirklich seine Existenz bedrohte, sondern vielmehr Ausdruck der von ihm erkannten Ungleichbehandlung war, stattgegeben wurde. Was ist aus seiner Beschwerde nun geworden? Was berichten die dürftigen Protokolle?

Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschwerde tatsächlich genehmigt und in den Provinziallandtag eingebracht wurde und dass man die Beschwerde für „vollkommen begründet“ erachtete. Ob dies jedoch auch zu einer tatsächlichen Erleichterung für den Nudelfabrikanten führte, davon wird an dieser Stelle nichts berichtet. Es darf allerdings davon ausgegangen werden, dass eine tatsächliche Erleichterung erst mit Aufhebung der „Mahlsteuer“ im Jahr 1875 stattgefunden hat. [10]

Ebenso verhält es sich mit seinem Nudelkollegen aus Neuss, der insbesondere die „hohen Abgaben bei der Ein- und Durchfuhr in Holland“ monierte. Hier heißt es lediglich, dass ihm ein Teil der Abgaben erlassen werden würde, „wenn die Rheinschifffahrt frei und die Transit-Abgabe, worüber Beschwerde geführt wird, wegfällt.“ Die weitere Entwicklung wird an dieser Stelle jedoch nicht ausgeführt. Die Abschaffung von Rheinschifffahrtsabgaben erfolgte allerdings erst 1861 und ein „Schutzzoll“, auch „Einfuhrzoll“, der auf ausländische Waren zum Schutze inländischer Waren aus Wettbewerbsgründen erhoben wird und den sich die Nudelfabrikanten bereits 1826 gewünscht hätten, wurde erst nach 1877 beschlossen. [11]

Bearbeitung: Ariane Jäger

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[1] ALVR, Best. APSt-Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, Nr. 705 „Beschwerden mehrerer Nudelfabrikanten über zu hohe Besteuerung ihres Fabrikats“

[2] ALVR, Best. APSt-Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, Nr. 1 „Die durch das Gesetz vom 27. März 1824 für die Rheinprovinz angeordnete ständische Einrichtung“

[3] Horion, Johannes: Die Rheinische Provinzialverwaltung. Ihre Entwicklung und ihr heutiger Stand. Düsseldorf, 1925, S. 4

[4] Vgl. hierzu den Bestand im ALVR: APSt-Archiv der Provinzialstände der Rheinprovinz, „Sitzungsprotokolle“ (1826-1888)

[5] Lademacher, Horst: Von den Provinzialständen zum Landschaftsverband. Köln, 1973, S. 51

[6] Ebd., S. 52

[7] Horion, Johannes: Die Rheinische Provinzialverwaltung. Ihre Entwicklung und ihr heutiger Stand. Düsseldorf, 1925, S. 25

[8] Lademacher, Horst: Von den Provinzialständen zum Landschaftsverband. Köln, 1973, S. 59

[9] Ebd., S. 58

[10] Artikel „Mahl- und Schlachtsteuer“. In: Meyers Großes Konversations Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig und Wien 1905-1909, Bd. 6, Sp. 105

[11] Artikel „Zölle“. In: Meyers Großes Konversations Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig und Wien 1905-1909, Bd. 6, Sp. 978ff.

Benutzte Quellen:

- ALVR, Best. APSt, Nr. 1 „Die durch das Gesetz vom 27. März 1824 für die Rheinprovinz angeordnete ständische Einrichtung“

- ALVR, Best. APSt, Nr. 705 „Beschwerden mehrerer Nudelfabrikanten über zu hohe Besteuerung ihres Fabrikats“

Benutzte und weiterführende Literatur:

- Croon, Gustav: Der Rheinische Provinziallandtag bis zum Jahre 1874. Düsseldorf, 1974.

- Horion, Johannes: Die Rheinische Provinzialverwaltung. Ihre Entwicklung und ihr heutiger Stand. Düsseldorf, 1925.

- Lademacher, Horst: Von den Provinzialständen zum Landschaftsverband. Köln, 1973.

- Meyers Großes Konversations Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens. Sechste, gänzlich neubearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig und Wien 1905-1909.