Der humanistische Jurist, Historiker und Diplomat Johannes Sleidanus/Sledanus (eigentlich Johannes Philippi oder Philippson) wurde 1506 als Sohn eines Schmiedemeisters, Ratsherrn und Hoflieferanten der Grafen von Manderscheid-Blankenheim in Schleiden/Eifel geboren. Neben dem ebenfalls aus Schleiden stammenden, gleichaltrigen Humanisten Johannes Sturm (1507–1589) gilt Sleidanus, der sich in latinisierter Form nach seiner Heimatstadt benannte, heute als einer der beiden prominentesten Söhne Schleidens und zugleich als bedeutender Vertreter der frühen protestantischen Geschichtsschreibung.
Nach seiner Ausbildung an der Schleidener Stadtschule, der Hieronymitenschule in Lüttich und dem Collegium Trilingue in Löwen wechselte Sleidanus um 1533 nach Frankreich an die Universität Orleans, wo er ein juristisches Studium absolvierte. Durch die Vermittlung seines Studienfreundes Sturm wurde Sleidanus 1536 Sekretär des Bischofs von Paris Kardinal Jean du Bellay (1492–1560), der zu den führenden Persönlichkeiten am Hof des französischen Königs Franz I. gehörte. Als Gegner der Politik des deutschen Kaisers Karls V., mit dem Frankreich um die Vorherrschaft in Europa rang, bemühte sich du Bellay um ein Bündnis zwischen dem französischen Königshof und den deutschen protestantischen Fürsten. In seinem Dienst unternahm Sleidanus verschiedene diplomatische Missionen ins Reich, nahm u. a. 1540 am Religionsgespräch von Hagenau, 1541 am Reichstag von Regensburg und 1544 am Reichstag von Speyer teil und kam dabei mit den politischen und geistigen Führern der protestantischen Bewegung in Kontakt. 1544 siedelte Sleidanus von Paris nach Straßburg über, wo er in die städtische Führungsschicht einheiratete und begann, die Geschichte der Reformation zu schreiben. Im Frühjahr 1545 wurde Sleidanus vom Schmalkaldischen Bund, dem gegen den katholischen Kaiser Karl V. gerichteten Bündnis protestantischer Reichsfürsten, als Diplomat, Übersetzer und Historiker angestellt. Der Ausgang des Schmalkaldischen Krieges 1546/47, der mit einer Niederlage der protestantischen Partei endete, unterbrach seine politische Karriere; zwischenzeitlich betätigte er sich als Übersetzer von Werken französischer Historiker und Politiker wie etwa Jean Froissart (ca. 1337–1405), Philippe de Commynes (1447-1511) oder Claude de Seyssel (1450–1520). Später nahm Sleidanus seine Tätigkeit als Diplomat wieder auf. So gehörte er etwa 1551/52 als Gesandter der Stadt Straßburg zu den Teilnehmern des Konzils von Trient (1545–1563), das in Reaktion auf die Lehren und Forderungen der Reformation einberufen worden war und die Reform der katholischen Kirche einleitete.
Johannes Sleidanus starb am 31. Oktober 1556 in Straßburg.
Von der Forschung wird Sleidanus heute v. a. als Vermittler zwischen der deutschen und der französischen Kultur, als Diplomat, Historiker und Autor einer der wirkmächtigsten Darstellungen der deutschen (Reformations-)Geschichte wahrgenommen.
Als Historiker und Zeitzeuge stützte der Humanist Sleidanus, der seine Werke in lateinischer Sprache verfasste, seine um Objektivität bemühten Berichte über die Reformation auf eine große Auswahl von Dokumenten. Sleidanus´ Hauptwerk, eine 26 Bücher (Kapitel) umfassende Chronik über die politischen und religiösen Bedingungen im Reich während der Herrschaft Kaiser Karls V., erschien 1555 in Straßburg unter dem Titel „De statu religionis et reipublicae Carolo Quinto Caesare Commentarii“ und wurde insbesondere in protestantischen Gelehrtenkreisen breit rezipiert. Bis ins 18. Jahrhundert erschienen insgesamt über 90 Auflagen sowie Übersetzungen ins Deutsche, Niederländische und Englische.
Seit dem 16. Jahrhundert galt Sleidanus als der maßgebliche Geschichtsschreiber der Reformation, dessen Schriften nicht nur viel gelesen, sondern zum Teil auch bearbeitet und fortgeschrieben wurden. Ein Beispiel für eine solche Rezeption von Sleidanus´ Werk bietet der Straßburger Theologe Oseas Schadaeus (1586–1626), der 1621 unter dem Titel „Joan. Sleidani Veri Et Ad Nostra tempora usque continuati“ eine deutsche Übersetzung und zugleich Fortschreibung von „De statu religionis et reipublicae“ bis in seine unmittelbare Gegenwart 1620 veröffentlichte. Dieses Werk erschien bei dem Straßburger Drucker Christoph von der Heyden 1625 in verbesserter zweiter Auflage. Eine digitale Kopie steht auf der Homepage der Bayerischen Staatsbibliothek München zur Verfügung.
In Sleidanus´Heimatstadt Schleiden ist sein Werk bis heute nicht in Vergessenheit geraten. Das Stadtarchiv Schleiden bewahrt eine kleine, 22 Bände umfassende Sammlung von Werken von und über Sleidanus, die zwischen 1555 und 1905 erschienen sind.
Auch die Reformationschronik von Sleidanus/Schadaeus in der Auflage von 1625 ist Teil dieser Sammlung. Der in Pergament eingebundene Band im Folioformat umfasst insgesamt ca. 2000 Seiten und ist mit zahlreichen Kupferstichporträts von Kaisern und Päpsten des 16. und frühen 17. Jahrhunderts ausgestattet.
Allerdings ließ der Erhaltungszustand des fast 400 Jahre alten historischen Drucks zu wünschen übrig. Die ersten Seiten des Buches mit dem Titelblatt und dem Porträt des Kaisers Ferdinand II. fehlen. Darüber hinaus war der Pergamenteinband verschmutzt und stark beschädigt. Der Buchrücken war im unteren Teil zum größten Teil abgerissen. Das Pergament auf den Buchdeckeln war teilweise eingerissen und wies Fehlstellen auf; auch hatte sich der Bezug an den Umschlägen weitgehend von den Deckeln gelöst. Durch seine Größe und sein Gewicht sowie aufgrund der fehlenden Stabilisierung durch den nur noch fragmentarisch erhaltenen Buchrücken war der Band darüber hinaus stark deformiert. Ein früherer Wasserschaden im unteren Rückenbereich hatte schließlich zu Schimmelbefall und infolgedessen bereits zum teilweisen Abbau des Papiers geführt.
Um die vorhandene Buchsubstanz zu sichern und weiteren Schäden vorzubeugen, ist der Band inzwischen von der Werkstatt für Papierrestaurierung im LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum (LVR-AFZ) sorgfältig gereinigt und restauriert worden. Alle Originalmaterialien, wie etwa die Pappdeckel und die Vorsätze, konnten wiederverwendet werden. Die Fehlstelle im Einband wurde durch angeglichenes Pergament ergänzt und ein fehlendes Kapital rekonstruiert. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Schleidener Rathauses hat Dr. Claudia Kauertz, Sachgebietsleiterin der Archivberatung im LVR-AFZ, das restaurierte Buch am 10. Mai 2015 dem Schleidener Bürgermeister Udo Meister übergeben.
Oseas Schadaeus, Joan. Sleidani Veri et Ad Nostra tempora usque continuati: Das ist, Warhafftige Beschreibung allerley fürnem[m]er Händel vnd Geschichten, so sich in Glau-bens vnd andern Weltlichen Sachen bey Regierung der […] Keyseren Caroli V., Ferdinandi I., Maximiliani II, Rudolphi II. vnd Matthias I. […] So wol inn- als ausserhalb deß H. Röm. Reichs Teutscher nation biß auff daß 1620. Jahr nach Christi Geburt begeben vnd zuge-tragen, Straßburg 1625. Bayerische Staatsbibliothek München, Signatur: 962311 Res/2 Eur. 84a-1/2 [Onlinefassung]; URL: http://www.mdz-nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb10866321-8
Alexandra Kess, Johann Sleidan and the Protestant vision of history, Aldershot 2008.
Ernst Martin, "Schadaeus, Oseas", in: Allgemeine Deutsche Biographie 30 (1890), S. 495. [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn124619614.html?anchor=adb.
Johannes Süßmann, "Sleidanus, Johann", in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 499-500 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn118748440.html.
Emile van der Vekene, Johann Sleidan, Bibliographie seiner gedruckten Werke und der von ihm übersetzten Schriften von Philippe de Comines, Jean Froissart und Claude de Seyssel; mit einem bibliographischen Anhang zur Sleidan-Forschung, Stuttgart 1996.