Die an der Ausstellung beteiligten Schülerinnen und Schüler mit Vertretern der Stadt sowie dem Neffen des Ermordeten, Foto: Pressestelle der Stadt Euskirchen
Am 22. Juni 2018 wurde in der Matthias-Hagen-Schule in Euskirchen-Kuchenheim die ortsgeschichtliche Ausstellung „Wir entdeck[t]en Kuchenheim“ eröffnet. Die Ausstellung war von Schülerinnen und Schülern eines freiwilligen Projektkurses der Förderschule in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Euskirchen erarbeitet worden. Grundlage für die Kooperation zwischen der Schule und dem Stadtarchiv Euskirchen ist eine am 24. Oktober 2016 geschlossene Bildungspartnerschaft, bei der es sich um die bislang erste und einzige Bildungspartnerschaft eines Kommunalarchivs mit einer Förderschule im Rheinland handelt. Das über zwei Jahre laufende Projekt wurde im Rahmen des Landesprogramms „Archiv und Schule“ über das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum (LVR-AFZ) finanziell gefördert. Zur Ausstellungeröffnung gaben Bürgermeister Dr. Uwe Friedl und Schulleiter Jan Schütz ihrer Freude über das gelungene Kooperationsprojekt Ausdruck und lobten ausdrücklich das außerordentliche Interesse und Engagement der 12 beteiligten Schülerinnen und Schüler. Schließlich betonte Stadtarchivarin Dr. Gabriele Rünger die Bedeutung der Historischen Bildungsarbeit für die Archive und sprach sich dafür aus, Bildungspartnerschaften mit allen Schulformen einzugehen und dabei auch die Förderschulen nicht auszuschließen.
Ausgangspunkt des Projekts war der bereits im Jahr 2013 erfolgte Umzug der Matthias-Hagen-Schule von Euskirchen-Stadt in den Ortsteil Kuchenheim. Auf ihrem täglichen Schulweg sehen die aus dem gesamten Kreisgebiet stammenden Schülerinnen und Schüler eine Vielzahl historischer Sehenswürdigkeiten des bereits im Jahr 1084 erstmals urkundlich erwähnten Ortes Kuchenheim, über deren Geschichte und Bedeutung kein Schulbuch Aufschluss gibt. In enger Zusammenarbeit mit der Stadtarchivarin entstand nun die Idee, die Geschichte der Gebäude und Orte selbst zu erforschen und die Ergebnisse nachhaltig zu dokumentieren. Dies geschah zum einen in Form einer Ausstellung, bei der die beteiligten Schülerinnen und Schüler Fotos der von ihnen entdeckten historischen Orte präsentierten und deren Geschichte in kurzen Texten selbst vorstellten. Zum anderen erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler einen digitalen Ortsrundgang unter Einsatz der von der Medienberatung NRW für Bildungspartnerschaften kostenfrei bereit gestellten „Biparcours-App“. Bei ihrem Rundgang durch den Ort machten die Schülerinnen und Schüler Fotos und nahmen Videos und Tondokumente auf, die dann mit Hilfe der App ins Internet gestellt wurden. Der so erstellte Biparcours zur Geschichte Kuchenheims ist unter dem Namen „Biparcours Entdecke Euskirchen-Kuchenheim!“ mit einem QR-Code über Smartphone abrufbar und steht allen Interessierten als nachhaltiges Projektergebnis zur Verfügung.
Im Rahmen des Projekts haben die Schülerinnen und Schüler einen lebendigen Zugang zur Geschichte des Ortes, in dem sie zur Schule gehen, erfahren und damit „forschend-entdeckendes Lernen“ an außerschulischen Lernorten erlebt. Im Einzelnen stellten sie u. a. folgende Sehenswürdigkeiten vor: die beiden, bereits im Hochmittelalter erwähnten Burgen, von denen die Obere Burg 1851 an den Tuchfabrikanten Jakob Koenen verkauft und als Tuchfabrik genutzt wurde (heute LVR-Industriemuseum Tuchfabrik Müller); das ehemalige Dinghaus (sog. Dönkes), das bis zum Einmarsch der Franzosen 1794 als Gerichtsgebäude des örtlichen Schöffengerichts diente; die mit Stolpersteinen als Erinnerungsorte gekennzeichneten, ehemaligen Wohnhäuser der drei jüdischen Familien Sommer, Wolf und Rolef, die in den 1930er-Jahren noch in Kuchenheim lebten; der um 1775 angelegte jüdische Friedhof links der Straße von Kuchenheim nach Euskirchen sowie schließlich die auf romanische Wurzeln zurückgehende Pfarrkirche St. Nikolaus mit der dort befindlichen Orgel, die von dem bekannten Kuchenheimer Orgelbauer Franz-Joseph Schorn (1834-1905) im Jahr 1896 erbaut wurde.
Darüber hinaus hat das Bildungspartnerprojekt zwischen Schule und Stadtarchiv noch ein weiteres, nachhaltiges Ergebnis. Im Verlauf ihrer Recherchen stießen die Schülerinnen und Schüler auf den am 2. Januar 1918 in Kuchenheim als Sohn des dortigen Molkereidirektors Gerhard Graf geborenen NS-Widerstandskämpfer Willi Graf, den sie ebenfalls in ihrem Projekt würdigten. Der bekennende Katholik Graf, der der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ angehörte, wurde gemeinsam mit den Geschwistern Hans und Sophie Scholl von den Nationalsozialisten zum Tode verurteilt und am 12. Oktober 1943 im Gefängnis München-Stadelheim hingerichtet. Die Schülerinnen und Schüler beantragten bei der Stadt Euskirchen die Anbringung einer Gedenk- und Informationstafel an Grafs Geburtshaus in der Willi-Graf-Straße 88. Im unmittelbaren Anschluss an die Ausstellungseröffnung in der Matthias-Hagen-Schule wurde die Gedenktafel im Beisein der Schülerinnen und Schüler, der geladenen Gäste, darunter auch ein Neffe Willi Grafs, und der Lokalpresse vom Bürgermeister feierlich enthüllt.