Interview in Corona-Zeiten: Dr. Mark Steinert und Dr. Peter Weber im Gespräch. Foto: LVR-AFZ, Sandra Kaschuba
An alle Details nicht mehr, aber an Erstkontakte mit den Kolleginnen und Kollegen, die zumeist älter und teilweise schon länger dabei waren. Die Aufnahme war ausgesprochen freundlich und die Erwartungen an den Neuen sicherlich hoch. Dr. Budde, mein geschätzter Vorgänger im Amte, nahm mich an die Hand, mit ihm durfte ich einige Wochen sogar das Arbeitszimmer teilen. Vieles bekam ich auf diese Weise hautnah mit, verstanden habe ich längst nicht alles.
Für wenige Wochen die Erschließung des Urkundenbestandes im Propsteiarchiv Kempen. Eine durchaus reizvolle Aufgabe, die man von einem Absolventen der Archivschule und jemanden erwarten konnte, der das Handwerk bei Walter Heinemeyer im wahrsten Sinne des Wortes noch nach allen Regeln der Kunst erlernen durfte. Wenn ich mich recht erinnere, war es nach sechs Wochen mit diesem sehr traditionellen Nischendasein auch schon aus und vorbei. Das Beratungsgeschäft mit seinen oft anstrengenden Vor-Ort-Einsätzen trat immer stärker in den Arbeitsalltag. Im Übrigen so manche Zusatzaufträge auch.
Die Mitwirkung an der Ausbildung von dringend benötigten Quereinsteigern, die im Rahmen der von den Landschaftsverbänden angebotenen Fachlehrgängen für ihre Aufgabe in den Kommunalarchiven bestmöglich vorbereitet werden sollten. Moderne Aktenkunde durfte ich, gerade erst selbst von der Schulbank entlassen, unterrichten. Die hohe Kunst des Neinsagens ist in jungen Jahren verständlicher Weise noch wenig ausgeprägt gewesen, auch wenn es angebracht gewesen wäre. Bei aller Mühe, hat es sich dennoch gelohnt, wenn ich mir die Absolventen und Absolventinnen anschaue, die in ihren Archiven vor Ort großartige Arbeit leisteten und teilweise immer noch leisten.
Die Beurteilung, ob ich mit der Ernsthaftigkeit und dem Habitus so mancher Kollegen auftrete, überlasse ich Anderen, aber wohl eher nicht! Inhaltlich trifft die Charakterisierung schon eher zu, wichtige Dinge weniger formal, sondern zunächst einmal sehr grundsätzlich anzupacken. Diskussionen bleiben dabei nicht aus, sie sind geradezu unverzichtbar und oft sehr produktiv gewesen. Auch habe ich meine Beratungstätigkeit immer auch in politischen Kontexten gesehen und definiert. Die Verankerung einer Anbietungsofferte von staatlichem Archivgut an ordentlich geführte Kommunalarchive im Archivgesetz NRW bietet ein Beispiel, auf das ich mit großer Genugtuung zurückblicke.
Ja, hier widerspreche ich nicht. Die Thematik hat mich schon zu Archivschulzeiten elektrisiert und dann ein ganzes Arbeitsleben nicht losgelassen.
Es war weniger eine persönliche Angelegenheit, als dass es darum ging, ein massives Prob-lem in den nichtstaatlichen Archiven vor Ort in den Griff zu bekommen. Wir hatten unverhältnismäßige Überdokumentationen und leichtfertige Kassationen ohne erkennbare Begründung in den Archiven diagnostiziert und die Überzeugung gewonnen, dass die etablierten theoretischen Bewertungsmodelle in den Kommunen nicht oder nicht hinreichend funktionieren, ja es streng genommen mit diesen Modellen auch nicht funktionieren können.
Durch Offenheit und Transparenz. Wir müssen Wertentscheidungen über Schriftgut und andere Unterlagen begründen. Was möchte ich wozu, für wen und in welchem Umfang dauernd aufbewahren? – das war eine Schlüsselfrage. Darüber muss man sich streiten dürfen. Methodisch haben wir ein sogenanntes Dokumentationsprofil für Kommunen auf den Weg gebracht, wo ja bekanntlich Lebenswelten und nicht nur Verwaltungshandeln zu dokumentieren sind. Profile bilden zugleich den Einstieg in die fachliche Diskussion, mit Archivträgern und anderen interessierten Kreisen. Das Konzept hat immerhin Niederschlag in den BKK-Empfehlungen gefunden und sicherlich auch einige Bewegung in die Bewertungsdebatte gebracht.
Ohne Wenn und Aber: Ja! Wesentliche Vorarbeiten dazu wurden in der Archivberatungsstelle, kurz ABST, geleistet. Hier ist Matthias Buchholz zu erwähnen, der in seiner ABST-Zeit wesentliche Impulse und Ergebnisse beisteuerte, genauso wie meine langjährige Kollegin, Angelika Neugebauer. Ihr Verdienst ist die Testung der grauen Theorie auf Praxistauglichkeit mit dem Ziel, sie zur Anwendungsreife zu bringen. Ich bin zuversichtlich, dass ihr das in ihrer aktiven Zeit sogar noch gelingen wird. Zumindest würde ich es ihr und dem ABST-Team wünschen. Im Übrigen habe ich bei allen Mühen den gesamten Diskussionsprozess auf Tagungen, Sitzungen und Publikationen, der in einem gemeinsamen Positionspapier des VdA mündete und seinerzeit von Robert Kretzschmar konstruktiv begleitet wurde, als ausgesprochen instruktiv und unter‘m Strich auch als sehr ertragreich empfunden. Gleichwohl, gute Überlieferungsbildung ist und bleibt nach wie vor eine Herkulesaufgabe! Den Kolleginnen und Kollegen vor Ort in den Archiven fehlt, nach eigenem Empfinden, aber auch objektiv, oftmals die Zeit, sich in der gebotenen Intensität mit dem Thema zu befassen. Umso wichtiger ist es daher, durch die Erarbeitung von Grundlagen und konkreten Empfehlungen, wie zuletzt beim Dokumentationsprofil Schule, die Archive zu unterstützen. Das spart ihnen erhebliche Zeit und ermöglicht dennoch Qualität.
Rückblickend kann ich das nur bestätigen und ermutigen, die gute Tradition fortzusetzen. Mir fällt dazu das Handbuch der Kommunalarchive ein. Eine wahrlich gewaltige, im Beratungsalltag an die Grenzen gehende Anstrengung, die die Dienststelle über einige Jahre in Atem hielt, aber dank des ambitionierten Anspruchs und einer konsequenten Umsetzung große Anerkennung gefunden hat. Auch erinnere ich gerne daran, dass dieses ‚opus magnum‘ mit dazu beitrug, das erste umfängliche digitale Archivportal in der Republik in NRW zu ermöglichen.
Was den letzten Aspekt angeht, kann ich Entwarnung geben. Die Lust auf Menschen habe ich mir bis zum Ende meines aktiven Dienstes bewahren können. Und wer mich etwas näher kennt, weiß, dass gerade diese Mischung aus fachlicher, oft theoriegebundener Arbeit und einer mitunter bis an missionarischen Eifer grenzenden Archivberatung meinem Naturell sehr entgegen kam. Ratssitzungen, Arbeitskreissitzungen, Gremienarbeit, ob in der BKK oder dem Internationalen Archivsymposion, Vorstandsangelegenheiten und Mitgliederversammlungen der Vereinigten Adelsarchive zählen dazu wie vor allem aber die vielen konkreten Beratungstermine in den Archiven vor Ort. Wissenschaftliche Grundlagenarbeit und der eine oder andere Exkurs in die Geschichtsschreibung taten das Übrige. Mit diesen beiden Seiten meiner persönlichen ABST-Medaille konnte ich es eigentlich nicht besser treffen.
Zunächst einmal fällt auf, wie lange sich dieser Prozess nun schon hinzieht und erst jetzt spürbare Auswirkungen auch in den Archiven sichtbar werden. Wir sind noch stärker als früher hier besonders im vorarchivischen Feld gefordert. Die Weichen für die notwendige Datensicherheit und Verfügbarhaltung werden bereits dort gestellt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine junge Generation von Archivarinnen und Archivaren die notwendigen Aufgaben über kurz oder lang schultern wird. Was die Fortbildung betrifft, eine traditionell eminent wichtige Aufgabe der Archivberatung, sind wir schon eine Weile auf dem digitalen Trip. Ich erwähne nur das E-Learning-Modul zur Einführung in die klassische Bestandserhaltung. Solche oder ähnliche Angebote werden auch vor dem Hintergrund der Pandemieerfahrungen zunehmen, ja generelle stärker genutzt werden.
Ein anderer Befund erscheint mir aber ebenso wichtig. Nach aktueller Lage gehe ich davon aus, dass aus Kostengründen analoge Magazine länger Bestand haben werden als allgemein angenommen. Digitale Archive sind, und ich fürchte, das wird noch länger so bleiben, unverschämt teuer!
Nein! Es macht durchaus Sinn, auch künftig auf analoge Sicherung zu setzen. Mir ist dieser Aspekt in einem Beratungstermin vor nicht allzu langer Zeit erstmals drastisch vor Augen geführt worden. Der Archivträger scheut dezidiert die Kosten, die für die empfohlene dauerhafte digitale Erhaltung und Bereitstellung von Unterlagen aufzubringen sind. Er setzt für einen nicht geringen Anteil von digital entstandenen Unterlagen gezielt auf eine analoge Magazinierung neben einer selbstverständlich digitalen für besondere Vorgänge. Wir haben uns auch im digitalen Zeitalter möglicher Weise noch lange auf eine analoge bzw. hybride Magazinierungswelt einzustellen.
Ja, die klassische Bestandserhaltung wird ihre in den letzten Jahren zu Recht hervorgehobene Bedeutung behalten. Nicht nur für den Abbau gewaltiger Rückstände bei der Pflege analogen Archivgutes, sondern auch künftiger papierner Überlieferungsformen. Entsprechende Förderprogramme wie die LISE in NRW oder die bei der KEK angesiedelten bundesweiten Programme werden ihre Berechtigung beibehalten, auch wenn der auf 100 Jahre angelegte Konservierungsprozess für die Erhaltung von Hunderten von Kilometern klassischen Archivguts abgeschlossen sein sollte. Für die Bekämpfung des endogen wie exogen verursachten Verfalls benötigen wir nicht nur geeignete Präventions-, Konservierungs- und Restaurierungsverfahren – also Knowhow, sondern auch auskömmliche Finanzierungstöpfe. Derzeit sind wir dank unseres Technischen Zentrums im AFZ fachlich ziemlich gut aufgestellt. Aber auch hier gilt: Ohne Moos nichts los.
Ja, der alte Hase… Ich fühle mich zwar noch einigermaßen frisch, aber auf das Hase-Igel-Spiel sollte man sich erst gar nicht einlassen. Hasenfüßigkeit ist mir überdies bis heute fremd geblieben. An Eigenschaften, auf die eine beratende Tätigkeit von Beginn an nicht verzichten kann, fallen mir spontan Begriffe wie Courage, Kooperation mit Respekt, Aufmerksamkeit, Nachsicht und Hilfsbereitschaft ein. Junge Menschen orientieren sich gerne an positiven Vorbildern. „Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen“! Ein Bonmot, das sich meine beiden Großväter nicht nur mit Blick auf ihre Enkel sozusagen gegenseitig ins Stammbuch ge-schrieben haben. Die schlichte Aussage, an die ich mich öfters erinnere, bringt die Sache ziemlich gut auf den Punkt. Das gilt umso mehr, je größer die Verantwortung für andere Menschen zunimmt. Engagement setze ich ohnehin voraus, dabei aber bitte so wenig Büro-kratie wie möglich. Vor Überforderung wie Überlastung rate ich aus eigener Erfahrung dringend ab. Stattdessen sollten wir uns vor allem Lebensqualität auch jenseits des beruflichen Alltags leisten. Das haben die jungen Kolleginnen und Kollegen mit und ohne Familien nach meinen Beobachtungen glücklicherweise stärker auf dem Schirm, als dies in meinen beruflichen Anfängen der Fall gewesen ist. Die gesunde Mischung macht´s.
O je, das ist ein ziemlich weites Feld. Ich versuche, mich kurz zu fassen. Ja, ich werde die Arbeit der Archivberatung von der Seitenlinie aus beobachten, aber hoffentlich niemals kommentieren müssen. Im Übrigen setze ich voll und ganz auf die nachkommende Generation. Wir haben exzellente Leute, die die Arbeit im AFZ wie schon heute auch künftig professionell, mit Umsicht und Engagement gestalten werden und das Erbe einer 1929 gegründeten Dienststelle in Ehren halten. Daran habe ich keinen Zweifel! Natürlich macht man sich seine Gedanken, wie es weitergehen könnte oder auch sollte. Die noch engere Verzahnung der einzelnen Fachbereiche von der Archivberatung über das Archiv des LVR bis zum Technischen Zentrum, der Ausbau Grenzen überschreitender Netzwerke, wie sie im Internationalen Archivsymposion seit Jahren gelebt wird, gehören genauso dazu wie die vor allem für die Geschichte der Rheinlande so wichtige Adelsarchivpflege. Viele von uns sind gelernte Historiker, die ihr Handwerk nicht gänzlich verlernen sollten. Seit geraumer Zeit weise ich auf diesen Aspekt hin und tue es auch jetzt, indem ich die jüngeren Kollegen und Kolleginnen, insbesondere aber auch die Verantwortlichen, ermutigen möchte, dieses Potenzial nicht brach liegen zu lassen, sondern für die rheinische Regionalgeschichte kreativ zu nutzen. Die Kontakte zu den Hochschulen sind in den vergangenen Jahren intensiviert worden, mein langjähriger Kollege, Hans-Werner Langbrandtner hat sich hier große Verdienste erworben. Auch die traditionell guten Verbindungen zur Technischen Hochschule, sollten weiter intensiviert werden, sie sind für beide Seiten fruchtbar.
Was den neuen Lebensabschnitt betrifft, bin ich schon jetzt auf dem Weg, zu kurz Gekommenes nachzuholen und in Erinnerung an ausgesprochen glückliche Kindheitstage mehr Zeit zu gewinnen für die Großfamilie - zurzeit besonders Klein-Anton -, Freunde, Musizieren und vieles mehr. Dem Freundeskreis Abtei Brauweiler bleibe ich ohnehin noch eine Weile erhalten. Ich muss also nicht völlig loslassen.
Am meisten freue ich mich aber darauf, den Lebensrhythmus, die Tagestaktung überwiegend selbst steuern zu können. Sie sehen also einen vergnügten Privatier, der sich alles in allem für einen zugleich spannenden wie entspannten Endspurt entschieden hat.
Gerne und ebenfalls vielen Dank! Das Interview hat Freude gemacht, eine schöne Gelegenheit, die mich ebenso überrascht hat wie schon die zugeeignete kleine Festschrift vom Duisburger Archivtag und die unlängst für mich so kreativ gestaltete - notgedrungen hybride – Abschiedsfeier.
Noch etwas, was mir sehr am Herzen liegt und das ich jetzt noch loswerden möchte. Zunächst was sehr Persönliches: Ich sage auf diesem Wege meiner lieben Frau, aber auch den Kindern, die mich all die Jahre liebevoll begleitet haben, ohne immer genau zu wissen, was ich den lieben Tag lang so anstelle, herzlichsten Dank. Sie werden mich jetzt mehr „erleben“ als ihnen vielleicht lieb ist, und können nach der Lektüre dieses Gesprächs vielleicht manches besser einordnen. Ich selbst habe nämlich zuhause sehr wenig und selten über meinen Arbeitsalltag berichtet.
Dann ist es mir beim Abschiednehmen von einem erfüllten Berufsleben ein Herzensanliegen, noch einmal allen, wirklich allen, die mich in mehr als 30 Jahren hier in der Abtei Brauweiler und draußen in den Landen begleitet und auf unterschiedlichste Weise gestützt und unterstützt haben, herzlich Dank sagen. Das sind keineswegs nur die Fachkolleginnen und Fachkollegen innen wie draußen, sondern in der Abtei das gesamte logistische Umfeld vom Handwerk über Sekretariate, besonders ist Frau Meyer hier zu nennen, der IT-Support, die Verwaltung und all die guten Seelen, die sich liebevoll um die Aufenthaltsqualität in meinem und anderen Büroräumen, stellvertretend geht ein besonderer Dank an Frau Wagner, gekümmert haben, in einer mir ans Herz gewachsenen ehemaligen Abtei, die 2024 ihr 1000-jähriges Bestehen feiern wird. Es sind viele Menschen gewesen, die mich geprägt haben und in gewisser Weise sich auch um mein Wohl bis heute kümmern. Sie haben mich zu einem guten Teil zu dem gemacht, wie ich heute bin. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen. Danke!!