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01. April 2019

"Mittwochs im Archiv": Vorstellung der neuen Publikation „Verlorene Freiheit. Nationalsozialistische Schutzhaft 1933/34 im heutigen Rhein-Erft-Kreis“

Am 13. Februar 2019 wurde im Gierden-Saal des LVR-Kulturzentrums Abtei Brauweiler im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mittwochs im Archiv" das von Josef Wißkirchen herausgegebene Buch „Verlorene Freiheit. Nationalsozialistische Schutzhaft 1933/34 im heutigen Rhein-Erft-Kreis“ vorgestellt.

Die Publikation erscheint als 28. bzw. 3. Band in den Schriftenreihen „Rheinprovinz“ des Archivs des LVR sowie „Schriften zur Gedenkstätte Brauweiler“. Es beschäftigt sich mit den Anfängen der NS-Diktatur im Rhein-Erft-Raum. Dabei werden vor allem die regionalen und lokalen Ausprägungen der sogenannten „Schutzhaft“ beleuchtet, mit welcher die Nationalsozialisten und die willfährige Polizei ohne richterliche Kontrolle und ohne jeden Rechtsschutz Massenverhaftungen und Misshandlungen von politischen Gegnern durchführten.

Um 18 Uhr eröffnete Dr. Mark Steinert, Leiter des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums, die mit 120 Personen sehr gut besuchte Veranstaltung und begrüßte die anwesenden Gäste, darunter den Herausgeber und Autor Josef Wißkirchen sowie die übrigen Autorinnen und Autoren. Herr Dr. Steinert erinnerte an die verhängnisvolle und schreckliche Vergangenheit der Abtei Brauweiler bzw. Arbeitsanstalt Brauweiler als ehemaliges Schutzhaft-/Konzentrationslager bzw. späteres Gestapogefängnis (1933-1945) und wies auf das Anliegen des LVR hin, sich der eigenen Geschichte und der Zeit des Nationalsozialismus zu stellen und diese geschichtswissenschaftlich aufzuarbeiten.

Anschließend folgte ein eindringlicher Vortrag des Herausgebers Josef Wißkirchen. Er skizzierte zum einen die politischen, krisengeschüttelten Verhältnisse am Ende der Weimarer Republik und die zum Teil gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, sowie die Errichtung des nationalsozialistischen Unrechtsstaats, in dem 2000 Schutzhäftlinge, größtenteils aus dem Ruhrgebiet und dem Rhein-Erft-Raum, bis März 1934 im KZ Brauweiler inhaftiert gewesen waren. Zum anderen stellte er kurz die Entstehungsgeschichte des Buches dar. Dabei führte er aus, dass ihm die Idee zu besagtem Buch durch Archivbesuche und Recherchen im Archiv des LVR in Pulheim-Brauweiler gekommen sei. Das zehnjährige Bestehen der Gedenkstätte Brauweiler stelle nun den Anlass für die Publikation des Buches dar.

Dessen Titel „Verlorene Freiheit“ solle auf die Bedeutung der Schutzhaft für den Einzelnen wie auch die Gesellschaft verweisen: Den uneingeschränkten Verlust der individuellen Freiheit. Wißkirchen betonte, dass das Naziregime ein falsches und pervertiertes Verständnis des Freiheitsbegriffes besessen habe; Freiheit sei jedoch unteilbar, sie gelte für alle, oder für niemanden. Das Buch sei diesbezüglich ein Lehrstück über die Errichtung einer Diktatur, das Studium der Akten fördere deutlich zu Tage, wie willfährig sich große Teile der regionalen und lokalen politischen Elite dem repressiven Terror der Nationalsozialisten hingaben. Mit Bezugnahme auf die heutige Auseinandersetzung mit „Fake-News“ und der in den digitalen sozialen Netzwerken verbreiteten politischen Hetze, skizzierte Herr Wißkirchen u.a. anhand von Zitaten aus historischen Zeitungen des Jahres 1934 die maßlose politische Hetze der Nationalsozialisten gegenüber den Kommunisten. Ferner berichtete er, dass zunächst ein anderer Titel für die Publikation angedacht war: „Geraubte Freiheit“ anstatt „Verlorene Freiheit“. Plausibel machte er anschließend deutlich, dass dieser jedoch nicht passend und angemessen gewesen sei, da er zu sehr auf die Täter bzw. „Räuber“ rekurriere und somit große Teile des willfährigen und der Repression zustimmenden Volkes entschuldige.

Zum Schluss kam der Referent auch auf die regionale Bedeutung des Buches zu sprechen. Dieses ermögliche ein konkretes Erfassen der Überzeugungen, der Intentionen, des Leids, der Quellen der Verführbarkeit etc. der handelnden Personen. Die Regional- bzw. Lokalgeschichte führe zu den gleichen Grundfragen wie die allgemeine Geschichte und mache das Allgemeine im Konkreten, Regionalen bzw. Lokalen sichtbar. Mit der Hoffnung, dass die historischen Erkenntnisse des Buches gegen erneute faschistische und menschenverachtende Bestrebungen immunisieren, beendete Herr Wißkirchen seinen Vortrag.

Abgerundet wurde der Abend durch ein von Dr. Wolfgang Schaffer, Leiter des Archivs des LVR, moderiertes Gespräch mit einigen Autor*innen des Buches: Susanne Harke-Schmidt (Stadtarchivarin Kerpen), Michael Cöln (Stadtarchivar Hürth), Wolfgang Drösser (Autor der Aufsätze zur Schutzhaft in Brühl und Wesseling), Dr. Jochen Menge (Autor des Aufsatzes zur Schutzhaft in Frechen) und Josef Wißkirchen. Die Autor*innen gaben anhand von interessanten Beispielen, erhellende und eindrucksvolle Einblicke in die jeweiligen historischen politischen Verhältnisse vor Ort und den diesbezüglichen lokalen Ausprägungen der Schutzhaft und arbeiteten so Gemeinsamkeiten wie Unterschiede heraus. Als Quintessenz lässt sich konstatieren, dass in jedem der besagten Orte die Schutzhaft systematisch zur Ausschaltung der politischen Opposition und zur Gefügigmachung der Bevölkerung genutzt wurde. Josef Wißkirchen betonte schließlich nochmals übergreifend den Wert der Lokal- und Regionalgeschichte: Sie sei unerlässlich für das Verständnis über die Gesamtsituation im damaligen Deutschland; das Einzelne, das Lokale sei ein exemplarischer Teil des Ganzen. Ferner verdeutlichte er anschaulich die Bedeutung von Arbeitsanstalt Brauweiler bzw. KZ Brauweiler für die Schutzhaftmaßnahmen im heutigen Rhein-Erft-Kreis, aber auch für die Genese und Entwicklung des ganzen menschenverachtenden KZ-Systems im Allgemeinen: Brauweiler sei eine „Keimzelle“ für das weitere KZ-System der Nationalsozialisten gewesen. Das Gespräch abschließend, stellte Herr Dr. Schaffer fest, dass das größte Qualitätsmerkmal dieser neuen Studie sei, geschichtswissenschaftlich fundiert und quellenreich eine Forschungslücke geschlossen zu haben.

Im Anschluss an das Fachgespräch gab es ferner die Möglichkeit für Publikumsfragen, die von einigen Gästen genutzt wurde. Mit einem Dankeswort der Autorinnen und Autoren an den Herausgeber für seine engagierte Unterstützung und persönliche wie fachliche Begleitung bei der Arbeit am Buch endete die rundum gelungene Veranstaltung.

(Bericht: Johannes Ehrengruber, Archivinspektoranwärter)


Informationen zum Buch:

Josef Wißkirchen (Hg.): Verlorene Freiheit. Nationalsozialistische Schutzhaft 1933/34 im heutigen Rhein-Erft-Kreis. Metropol-Verlag Berlin 2019.

Das Buch ist Teil der Schriftenreihen „Rheinprovinz. Dokumente und Darstellungen zur Geschichte der Rheinischen Provinzialverwaltung und des Landschaftsverbandes Rheinland“ (Bd. 28) des Archivs des LVR sowie „Schriften zur Gedenkstätte Brauweiler“ (Bd. 3).

ISBN: 978-3-86331-452-1, 664 Seiten, gebunden, 39,90 €
ISBN: 978-3-86331-902-1 (E-Book), 30 €

Autorinnen und Autoren des Sammelbandes:

Heinz Andermahr, Eric Barthelemy, Frank Bartsch, Michael Cöln, Brigitte Daners, Hermann Daners, Wolfgang Drösser, Susanne Harke-Schmidt, Christoph Hoischen, Susanne Kremmer, Jochen Menge, Volker H. W. Schüler und Josef Wißkirchen