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Die Papiernormen DIN 6738 und DIN EN ISO 9706 im Vergleich

Für Papierqualitäten existieren nebeneinander zwei verschiedene DIN-Normen: die erstmals 1992 veröffentlichte DIN 6738 und die zwei Jahre später zunächst als internationale Norm ISO 9706:1994 und kurz darauf auch als deutsche Norm veröffentlichte DIN ISO 9706:1995. Beide Normen sind inzwischen mehrfach fortgeschrieben worden, die DIN 6738 zuletzt im Jahr 2007, die DIN ISO 9706 durch Zusammenführung von europäischer und deutscher Norm zuletzt im Jahr 2010. Die fortdauernde Koexistenz der beiden Normen kann insbesondere bei der Frage, nach welcher Norm Papier ausgeschrieben und beschafft werden soll, Verwirrung stiften.

Die DIN 6738:2007

Die ältere DIN 6738 definiert vier Qualitätsklassen, sogenannte „Lebensdauerklassen“ (LDK), in die Papiere aufgrund von künstlichen Alterungstests eingeordnet werden. Die künstliche Alterung besteht dabei darin, dass Proben eines Papiers je nach der zu prüfenden Qualitätsklasse für die Dauer von 6, 12 oder 24 Tagen einer Temperatur von 80 °C und einer Luftfeuchtigkeit von 65 % relativer Feuchte (rF) ausgesetzt werden.

Bestimmte Anforderungen an die Qualitätsmerkmale eines Papiers im Herstellungszustand stellt die DIN 6738 dagegen nur in Form von Mindestanforderungen. Im Wesentlichen ordnet sie Papiere jedoch nach dem Verhältnis ihrer mechanischen Eigenschaften im Herstellungszustand einerseits zu den mechanischen Resteigenschaften nach dem Alterungstest andererseits in die festgelegten "Lebensdauerklassen" ein.

Die höchste "Lebensdauerklasse" nach DIN 6738 ist die LDK 24-85. Papier, das die Anforderungen dieser Qualitätsklasse erreicht, darf laut DIN 6738 „alterungsbeständig“ genannt werden. Um in die LDK 24-85 eingeordnet zu werden, müssen Proben eines Papiers nach einem 24-tägigen Alterungstest über definierte mechanische Mindestanforderungen hinaus noch mindestens 85 % der Differenz aus ihren mechanischen Ausgangseigenschaften und den Mindestanforderungen erfüllen. Als mechanische Ausgangseigenschaften werden hierbei die breitenbezogene Bruchkraft quer zur Maschinenrichtung sowie die Bruchdehnung und der Durchreißwiderstand in Maschinenrichtung gemessen. Mindestanforderungen an die chemischen Eigenschaften werden von der DIN 6738 nicht gestellt.

Für den Durchreißwiderstand liegt die Mindestanforderung bei 50 mN. Ein Papier, das als Ausgangseigenschaft einen Durchreißwiderstand in Maschinenrichtung von 150 mN hat, müsste also für die LDK 24-85 nach dem Alterungstest noch mindestens eine Resteigenschaft von 50 mN plus 0,85 mal (150 mN minus 50 mN) gleich 135 mN haben.

Die DIN EN ISO 9706:2010

Die DIN EN ISO 9706 dagegen definiert Qualitätsmerkmale, die ein Papier in seinem Herstellungszustand erfüllen muss. Diese Qualitätsmerkmale sind:

  1. ein definierter Durchreißwiderstand längs und quer von 350 mN bei Papieren mit einer flächenbezogenen Masse ab 70 g pro Quadratmeter
  2. eine Alkali-Reserve, überlicherweise als Kalziumcarbonat-Puffer (CaCO3-Puffer)
  3. eine hohe Oxidationsbeständigkeit, ausgedrückt in der Kappa-Zahl
  4. ein pH-Wert zwischen 7,5 und 10.

Das Erreichen eines hohen pH-Werts ist im Herstellungsprozess von Papieren durch die Zugabe von Kalziumcarbonat möglich. Durch diese Pufferung können Papiere Säuren aus der Umgebungsluft und aus benachbarten sauren Papieren über einen vom Grad der Säureeinwirkung und vom Ausmaß der Pufferung abhängigen Zeitraum neutralisieren.

Säuren entstehen aber auch im Lauf der Zeit im Papier selbst, wenn die Papiersubstanz Lignine enthält. Weitere Informationen hierzu geben wir auf der Seite "Endogene Zerfallsfaktoren". Ein hoher pH-Wert allein reicht daher für eine Aussage über die Alterungsbeständigkeit eines Papiers nicht aus. Die DIN EN ISO 9706 verlangt daher zusätzlich zur Alkalireserve eine niedrige Kappa-Zahl von unter 5. Das entspricht einem sehr niedrigen Restligningehalt von unter 1 %.

Fazit

Eine Garantie für die Erhaltungsdauer eines Papiers gibt keine der beiden Qualitätsnormen. Das ist auch nicht möglich, weil die Erhaltungsdauer wesentlich von den Lagerungsbedingungen abhängt. So betont die DIN 6738 ausdrücklich, dass es sich bei den von ihr prognostizierten "Lebensdauern" um vorsichtige Schätzungen unter der Voraussetzung einer schonenden Behandlung und einer schonenden Lagerung handelt, wie sie in der Praxis häufig nicht anzutreffen sind.

Im Verhältnis der beiden Normen zueinander lässt sich festhalten, dass Papiere, die die Anforderungen der DIN EN ISO 9706 erfüllen, auch die Anforderungen an Papiere erfüllen, die in die LDK 24-85 nach DIN 6738 eingeordnet werden können. Papiere, die die Anforderungen der LDK 24-85 erfüllen, erfüllen dagegen nicht unbedingt die Anforderungen der DIN EN ISO 9706. Das gilt insbesondere für die allermeisten Recyclingpapiere.

Die zuweilen aufgestellte Behauptung, die DIN EN ISO 9706 schließe Recyclingpapier "per Definition" aus, ist allerdings falsch. Theoretisch können auch aus Recyclingpapier Papiere hergestellt werden, die die Qualitätsanforderungen der Norm erfüllen. Dafür dürfen jedoch keine Altpapiere mit hohem Ligninanteil und keine massiv mit sauren Beschreibstoffen belasteten Altpapiere bei der Herstellung des Recyclingpapiers verwendet werden, weil der von der DIN EN ISO 9706 geforderte hohe Oxidationswiderstand sonst nicht erreicht werden kann. In der Praxis ist es daher schwierig, in größeren Mengen alterungsbeständiges Papier nach DIN EN ISO 9706 aus Altpapier herzustellen.

Tatsächlich unvereinbar sind die Anforderungen der DIN EN ISO 9706 mit den Anforderungen für Recyclingpapier, das mit dem "Blauen Engel" ausgezeichnet ist, weil Recyclingpapiere für den Blauen Engel nicht nur aus 100 % Altpapier bestehen müssen, sondern diese Altpapiere auch mindestens 65 % "untere und mittlere Papiersorten" enthalten müssen.

Für Unterlagen, die Archivgut werden könnten, ist daher grundsätzlich die Verwendung von Papieren zu empfehlen, die die Anforderungen der Norm DIN EN ISO 9706:2010 erfüllen. In Ausschreibungen zur Beschaffung von Papier sollte dies berücksichtigt werden. Daneben sollte aber auch auf die Beschaffung von geeigneten Beschreibstoffen geachtet werden, da saure Tinten auch das Papier versäuern, auf dem sie benutzt werden.

Das archivische Plädoyer für den Einsatz von Papier nach DIN EN ISO 9706 für Unterlagen, die öffentliches Archivgut werden, spricht allerdings nicht gegen den Einsatz von Recyclingpapier im Allgemeinen - im Gegenteil: Unterlagen von befristeter Bedeutung können, auch wenn die Frist der Bedeutung hundert Jahre lang ist, getrost auf Recyclingpapier geschrieben oder gedruckt werden. Hier empfehlen sich organisatorische Absprachen mit den Trägerverwaltungen.

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